Wissenschaft und Schule eng verzahnt – Impulse aus den Niederlanden

Das niederländische Bildungssystem zeigt, welche Vorteile es hat, wenn Lehrkräfte mit Universitäten kooperieren und Schulleitungen auf Management setzen

In der Digitalisierung von Schulen sind die Niederlande bereits Vorreiter. Doch auch in der Ausbildung und den Aufgaben von Lehrkräften und Schulleitungen geht Deutschlands Nachbarland andere Wege. Obwohl Bildungskonzepte nicht eins zu eins übertragbar sind, kann Deutschland wertvolle Anregungen aus den niederländischen Ansätzen gewinnen.

Das niederländische Bildungssystem kennzeichnet eine hohe Autonomie der Schulen und eine dezentrale Steuerung (van der Venne, 2013). Die sogenannte Basisschule – die niederländische Grundschule – beginnt im Alter von vier Jahren, wobei ab dem fünften Geburtstag Schulpflicht besteht. Sie erstreckt sich über acht Jahre. Die weiterführenden Schulen in den Niederlanden gliedern sich in drei Niveaustufen, die mit dem Haupt- und Realschulabschluss, der Fachoberschule sowie dem allgemeinbildenden Gymnasium vergleichbar sind. Die Ausbildung und Aufgaben von Schulleitungen und Lehrkräften im niederländischen Bildungssystem unterscheiden sich dabei in wesentlichen Punkten von denen in deutschen Schulen.

Lehrkräfte in den Niederlanden: digital & evidenzorientiert

Die Niederlande haben ein äußerst wirkungsvolles System entwickelt, das Wissenschaft und Schulentwicklung eng miteinander verknüpft. Im Mittelpunkt stehen die sogenannten Academic- Workplace-Projekte, bei denen Universitäten direkt an Schulen forschen und innovative Konzepte entwickeln (Schenke et al., 2016). Diese enge Verbindung von Theorie und Praxis wird durch eine systematisch in die Schulentwicklung eingebettete Schulbegleitforschung ergänzt (van der Steen & Peeters, 2014).

Ein zentraler Baustein dieses Systems ist die gezielte Qualifizierung von Lehrkräften. Sie werden systematisch in Forschungsmethoden geschult (Admiraal et al., 2019) und arbeiten in Teacher-Design-Teams eng mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen, um neue Unterrichtskonzepte zu entwickeln (Handelzalts, 2019). Die Umsetzung dieser Kooperation wird durch ein gezieltes Finanzierungssystem unterstützt: Der Staat fördert Schul-Universitäts-Partnerschaften (NRO, 2018), stellt Mittel für schulinterne Forschungsprojekte bereit (van Veen et al., 2016) und investiert in Schulen für professionelle Entwicklung (Snoek & Moens, 2017). Diese Strukturen spiegeln sich in erfolgreichen Praxisformaten wider. Besonders bemerkenswert ist die Möglichkeit für Lehrkräfte, berufsbegleitend über ihre eigene Schulpraxis zu promovieren (Meijer et al., 2020). Universitäten evaluieren dabei die Schulinnovationen (Oonk et al., 2019), sodass Forschungsergebnisse unmittelbar in die Schulentwicklung einfließen (Ros & van den Bergh, 2018). Die enge Zusammenarbeit zeigt sich zudem in gemeinsamen Publikationen von Lehrenden und Wissenschaftlern (Zwart et al., 2015).

Vergleichende Studien belegen zudem, dass niederländische Lehrkräfte über überdurchschnittlich hohe digitale Kompetenzen verfügen (Krumsvik & Jones, 2020). Dies ist insbesondere auf die ausgeprägte Fortbildungskultur sowie die Unterstützung durch das nationale Kompetenzzentrum Kennisnet zurückzuführen. Die Digitalisierung des niederländischen Bildungssystems gilt europaweit als vorbildlich.

Darum studieren Schulleitungen in den Niederlanden Management

Die niederländische Konzeption von Schulleitung unterscheidet sich grundlegend von der in vielen anderen Ländern. Während Schulleitungen international meist aus dem Lehrberuf kommen, verfolgen die Niederlande einen managementorientierten Ansatz. Dort werden Schulleitungen als professionelle Bildungsmanager betrachtet, die nicht zwingend über eine pädagogische Vorbildung verfügen müssen (Kruger, 2009). Diese Ausrichtung zeigt sich bereits in der Ausbildung . Angehende Schulleitungskräfte absolvieren spezialisierte Management-Studiengänge mit Fokus auf Führungskompetenzen, strategisches Management und Organisationsentwicklung. Huber und Muijs (2010) betonen, dass diese Programme gezielt auf die Anforderungen des Bildungssektors zugeschnitten sind und sich deutlich von klassischen betriebswirtschaftlichen Studiengängen unterscheiden.

Die hohe Autonomie niederländischer Schulen erfordert von Schulleitungen ausgeprägte unternehmerische Fähigkeiten. Sie agieren als CEOs, Chief Executive Officers, das heißt als Geschäftsführer ihrer Einrichtungen, und verfügen über weitreichende Befugnisse in Personal- und Budgetfragen (van der Venne et al., 2014). Mit dieser Autonomie geht eine hohe Verantwortung für die strategische Entwicklung und Qualitätssicherung der Schule einher. Die pädagogische Führung wird häufig an spezialisierte Koordinatoren delegiert. Dieses, als Distributed Leadership-Modell bekannte Konzept ermöglicht eine klare Arbeitsteilung zwischen Management und pädagogischen Aufgaben (Hulpia et al., 2012). Dadurch können sich Schulleitungen gezielt auf Strategie, Personalentwicklung und Organisationssteuerung konzentrieren. Studien zeigen sowohl Chancen als auch Herausforderungen dieses Ansatzes. Während Waslander (2017) eine gesteigerte organisatorische Effizienz und strategische Weiterentwicklung der Schulen dokumentiert, weisen Verbiest et al. (2014) auf mögliche Spannungen zwischen Management und pädagogischen Perspektiven hin.

Impulse für das deutsche Schulsystem

Das niederländische Modell verdeutlicht, wie eine systematische Verbindung von Wissenschaft und Schulpraxis gelingen kann. Durch die strukturelle Verankerung, nachhaltige Finanzierung und praxisnahe Umsetzung entsteht ein wechselseitiger Kreislauf, der sowohl die Schulentwicklung als auch die Bildungsforschung vorantreibt. Dieses System könnte als Vorbild für Länder wie Deutschland dienen, die eine stärkere Verzahnung von Wissenschaft und schulischer Praxis anstreben.

Auch liefert das niederländische Modell wertvolle Impulse für die internationale Diskussion zur Professionalisierung der Schulleitung. Es verdeutlicht, dass erfolgreiche Schulführung spezifische Managementkompetenzen erfordert, die über pädagogische Qualifikationen hinausgehen.

  • Admiraal, W., Schenke, W., De Jong, L., Emmelot, Y., & Sligte, H. (2019). Teachers in school-based research: Results of a survey study. European Journal of Teacher Education, 42(1), 65-79. 
  • Altrichter, H., & Maag Merki, K. (2016). Handbuch Neue Steuerung im Schulsystem. Wiesbaden: Springer VS. 
  • Handelzalts, A. (2019). Teacher Design Teams for School-Wide Curriculum Development: Reflections on an Early Study. Educational Design Research, 3(1), 1-34. 
  • Huber, S. G., & Muijs, D. (2010). School Leadership Effectiveness: The Growing Insight in the Importance of School Leadership for the Quality and Development of Schools and Their Pupils. In S. G. Huber (Ed.), School Leadership - International Perspectives (pp. 57-77). Springer. 
  • Hulpia, H., Devos, G., & Van Keer, H. (2012). The Relation Between School Leadership From a Distributed Perspective and Teachers' Organizational Commitment. Educational Administration Quarterly, 47(5), 728-771. 
  • Kruger, M. (2009). The Big Five of School Leadership Competences in the Netherlands. School Leadership & Management, 29(2), 109-127. 
  • Krumsvik, R. & Jones, L. (2020). Teachers' Digital Competence in School (DICIS): A Comparison between the Netherlands and Other European Countries. Nordic Journal of Digital Literacy, 15(4), 225-238. 
  • Meijer, M.-J., Kuijpers, M., Boei, F., Vrieling, E., & Geijsel, F. (2020). Supporting teachers as researchers: Making the leap to teacher leadership. Teaching and Teacher Education, 88, 102961. 
  • Oonk, W., Verloop, N., & Gravemeijer, K. P. E. (2019). Academic Workplaces in Dutch Schools: Promoting Research-Practice Partnerships. Journal of Educational Change, 20(3), 293-315. 
  • Ros, A., & van den Bergh, L. (2018). Research-Practice Partnerships in Education: Outcomes, Dynamics and Open Questions. Journal of Education for Teaching, 44(2), 120-137. 
  • Schenke, W., van Driel, J. H., Geijsel, F. P., & Volman, M. L. L. (2016). Collaboration between Secondary Schools and Universities in the Netherlands. Educational Research, 58(4), 454-477. 
  • Snoek, M., & Moens, E. (2017). The impact of teacher research on teacher learning in academic training schools in the Netherlands. European Journal of Teacher Education, 40(2), 257-276. 
  • van der Steen, J., & Peeters, M. (2014). Research-Practice Partnerships in Education: The State of the Art. Educational Research and Evaluation, 20(1), 1-6. 
  • van der Venne, L., Visscher, A., & Grift, W. (2014). How do Dutch School Leaders Prepare for and Cope with Educational Change? Journal of Educational Change, 15(3), 263-282. 
  • van Veen, K., Zwart, R., & Meirink, J. (2016). Research-Practice Partnerships in Dutch Education: Features and Working Principles. Cambridge Journal of Education, 46(2), 195-212. 
  • Verbiest, E., Teurlings, C., & Ansems, E. (2014). Professional Development of School Leaders in the Netherlands. Professional Development in Education, 40(3), 508-524. 
  • Waslander, S. (2017). Small Country Leadership: The Netherlands. In D. Waite & I. Bogotch (Eds.), The Wiley International Handbook of Educational Leadership (pp. 351-370). Wiley. 
  • Zwart, R. C., Smit, B., & Admiraal, W. (2015). Teacher research networks in the Netherlands: Research-practice connections. Educational Action Research, 23(4), 407-427.