Wohlbefinden in der Schule ist kein Luxus

Zufriedene Schüler:innen lernen besser. Deshalb ist es für Schulen wichtig, das Wohlbefinden ihrer Schüler:innen ernst zu nehmen.

Der OECD Lernkompass 2030 definiert Wellbeing als Ziel aller Bildungsbemühungen. Doch was bedeutet Wohlbefinden konkret für Schulen? Prof. Tina Hascher von der Universität Bern widerlegt das Missverständnis, dass Wohlbefinden einfach nur „Spaß in der Schule" bedeutet, und zeigt auf, wie Schulen das Wohlbefinden von Schüler:innen und Lehrkräften fördern können.

„Schule ist zum Lernen und Arbeiten da" – diese Aussage ist richtig. Aber ich würde sie ergänzen: Damit Lernen und Lehren erfolgreich gelingt, ist (auch) das Wohlbefinden von Schülerinnen, Schülern und Lehrpersonen essenziell. Doch welche Faktoren sind dabei im Schulkontext entscheidend?

Was Wohlbefinden bedeutet

Wohlbefinden ist einer dieser Begriffe, die schwer zu definieren sind beziehungsweise unterschiedlich definiert werden. In der Forschung herrscht weitgehend Konsens darüber, dass keine Definition der anderen überlegen ist. Stattdessen leistet jede Definition ihren Beitrag zum Verständnis des komplexen Phänomens Wohlbefinden.

Die Weltgesundheitsorganisation hat den Begriff des Wohlbefindens bereits früh in den ihrer Definition von Gesundheit integriert: Sie beschreibt Gesundheit als „einen Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens." Wohlbefinden ist folglich mehr als lediglich die Abwesenheit von Beschwerden, Sorgen oder Ängsten.

Einen frühen Meilenstein zum Verständnis des Wohlbefindens lieferte auch die Allgemeine Psychologie. Hier wird Wohlbefinden als subjektive Bewertung der Lebenszufriedenheit beschrieben, die sowohl emotionale als auch kognitive Aspekte des persönlichen Lebens umfasst (Diener, 1984). Diese Definition setzt drei Annahmen voraus: Erstens ist Wohlbefinden subjektiv und die Wahrnehmung von verschiedenen Personen in unterschiedlichen Situationen daher variabel. Zweitens ist Wohlbefinden multidimensional, da es auf Bewertungen und Emotionen basiert. Drittens können diese Bewertungen und Emotionen sowohl positive Valenz, wie Zufriedenheit, als auch negative Valenz, wie Ablehnung, umfassen.

Wohlbefinden kann verschiedene Formen annehmen. So wird beispielsweise zwischen hedonistischem (auch hedonischem) Wohlbefinden und eudämonistischem (auch eudaimonischem) Wohlbefinden unterschieden. Während hedonistisches Wohlbefinden auf Spaß und Genuss fokussiert ist, stellt sich eudämonistisches Wohlbefinden aufgrund von Sinnerfüllung und Zielverwirklichung ein (Deci & Ryan, 2008). In unserem Erleben von Wohlbefinden sind oft beide Formen miteinander verknüpft.

„Lehrpersonen, die (auch kleine) Lernfortschritte ihrer Schüler:innen wahrnehmen und ihnen Lernerfolge zutrauen, tragen viel zum Wohlbefinden bei.“

Prof. Dr. Tina Hascher

Was schulisches Wohlbefinden ist

Die Untersuchung des Wohlbefindens in der Schule variiert je nach Forschungsdisziplin. Neben den Gesundheitswissenschaften sind dies insbesondere unterschiedliche Teildisziplinen der Psychologie, wie die Positive Psychologie oder die Arbeits- und Organisationspsychologie, sowie die Erziehungswissenschaft. Der Vorteil dieses breiten Ansatzes besteht darin, dass in den letzten Jahren ein umfassendes, empirisch fundiertes Wissen über die verschiedenen Facetten und Quellen des schulischen Wohlbefindens aufgebaut wurde. Auf Basis dieser theoretischen Arbeiten haben wir an der Universität Bern ein Modell zum Wohlbefinden in der Schule entwickelt, das sechs Dimensionen umfasst (Hascher, 2004; Hascher et al., 2018). Dieses Modell berücksichtigt den mehrdimensionalen Charakter des Wohlbefindens und ist sowohl auf Schülerinnen und Schüler als auch auf Lehrkräfte anwendbar.

Zu den sechs Dimensionen (drei positive und drei negative Komponenten), die das schulische Wohlbefinden ausmachen, zählen:

  1. Positive Einstellungen zur Schule und den damit verbundenen Aufgaben
  2. Freude in der Schule, primär über Leistungen und Anerkennung
  3. Das Erleben von Selbstwirksamkeit in der Schule und der damit verbundene akademische Selbstwert
  4. Sorgen in der Schule, die sich auf die Anforderungen und die Leistung beziehen
  5. Körperliche Beschwerden, die auf den Kontext der Schule bezogen sind
  6. Soziale Probleme mit Mitschülerinnen und Mitschülern beziehungsweise der Klasse

Von Wohlbefinden spricht man, wenn eine «positive Dysbalance» besteht: Wenn die Ausprägungen und Zustimmungen zu den positiven Komponenten klar gegenüber den negativen Komponenten überwiegen.

Wie Schulen das Wohlbefinden ihrer Schüler:innen fördern können

Kinder und Jugendliche sind in der Schule Teil eines Systems, das ihr Wohlbefinden auf vielfältige Weise beeinflussen kann. Zwei besonders wichtige Ebenen dieses Systems sind das Klassenzimmer und das Schulumfeld. Im Klassenzimmer spielen die Unterrichtsgestaltung, die Lehrpersonen und die Mitschülerinnen und Mitschüler eine entscheidende Rolle. Freude, ein Zugehörigkeitsgefühl und Wertschätzung hängen eng mit den Lehr-Lern-Prozessen zusammen, und Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler tragen gleichermaßen dazu bei. Lehrpersonen, die (auch kleine) Lernfortschritte ihrer Schülerinnen und Schüler wahrnehmen, die auf das Erleben von Erfolgserlebnissen und Freude der Lernenden achten, Lehrpersonen, die faire und transparente Prüfungen gestalten und den Lernenden Lernerfolge zutrauen, tragen viel zum Wohlbefinden bei. Ebenso wichtig sind die sozialen Interaktionen, wie gute Beziehungen zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern sowie Freundschaft und Unterstützung unter den Schülerinnen und Schülern (z.B. Hagenauer & Raufelder, 2022). Dies spiegelt sich zum Beispiel darin, ob im Unterricht eine konstruktive Fehlerkultur besteht (Fehler gehören zum Lernprozess) oder Lernende ausgelacht werden, wenn sie Fehler machen. Auf der Ebene des Schulgefüges sind das soziale Klima, die Schulstrukturen und das Schulprofil von Bedeutung. Ein häufig bestätigtes Ergebnis ist allerdings, dass das Wohlbefinden im Verlauf der Schuljahre tendenziell abnimmt, was unter anderem durch zunehmenden Leistungsdruck, eine wachsende Distanz zwischen Lehrpersonen und Lernenden und eine abnehmende Übereinstimmung zwischen Lerninhalten und Interessen der Jugendlichen erklärt wird (z.B. Eccles & Roeser, 2011). Daher müssen zur Förderung des Schülerwohlbefindens sowohl kognitive als auch soziale Faktoren berücksichtigt werden, um Schule als positiven Lern- und Lebensraum zu gestalten.

Was zum Wohlbefinden der Lehrkräfte beiträgt

Die Forschung identifiziert eine Vielzahl von Faktoren, die das Wohlbefinden von Lehrpersonen beeinflussen. Das „Job Demands-Resources Model“ (Demerouti et al., 2001) betont das Verhältnis zwischen beruflichen Anforderungen und Ressourcen. Wenn berufliche Anforderungen mit den vorhandenen beruflichen und persönlichen Ressourcen bewältigt werden können, fördert dies die berufliche Motivation und das Wohlbefinden. Umgekehrt führen hohe Anforderungen bei gleichzeitig geringen Ressourcen zu gesundheitsgefährdendem Stress. Daher sollte die Förderung des Wohlbefindens darauf abzielen, entweder die Anforderungen zu reduzieren oder die Ressourcen zu stärken. Dabei gilt es zu beachten, dass die Bedeutung von Anforderungen und Ressourcen im Lehrberuf variieren kann und ihr Zusammenspiel von den spezifischen Anforderungen abhängt; beispielsweise wird in Phasen hohen Leistungsdrucks der Ausgleich in der Freizeit besonders wichtig.

Wie das Wohlbefinden der Lehrkräfte die Schüler:innen beeinflusst

Bisher gibt es nur wenige Studien, die das Zusammenspiel des Wohlbefindens von Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schülern untersucht haben. Es gibt jedoch erste Hinweise darauf, dass das Wohlbefinden von Lehrpersonen tatsächlich einen Einfluss auf das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler haben kann. Eine mögliche Erklärung ist die emotionale Ansteckung bzw. Übertragung positiver Effekte: Schülerinnen und Schüler spüren, wenn sich ihre Lehrpersonen beim Unterrichten wohl fühlen und die Lerninhalte gern vermitteln, was sich positiv auf ihr eigenes Wohlbefinden auswirken kann. Zudem kann sich das Wohlbefinden der Lehrperson indirekt auswirken, indem es die Unterrichtsgestaltung beeinflusst. Fühlen sich Lehrpersonen wohl, sind sie eher geneigt, auf die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler einzugehen und deren individuelle Lernprozesse zu unterstützen, was sich positiv auf die Lernbereitschaft, die Lernergebnisse und somit auf das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler auswirkt.

Wie das Wohlbefinden der Schüler:innen die Lehrkräfte bestärkt

Studien zum Wohlbefinden von Lehrpersonen zeigen immer wieder, dass soziale Beziehungen in der Schule von besonderer Bedeutung sind (z.B. Hascher & Waber, 2021). Lehrpersonen nennen regelmäßige persönliche Kontakte mit Lernenden und deren Eltern, den Austausch im Kollegium sowie die Interaktionen mit der Schulleitung als zentrale Quellen ihres Wohlbefindens – sowohl im positiven als auch negativen Sinn. Gute Beziehungen zu Schülerinnen und Schülern, eine unterstützende Zusammenarbeit mit anderen Lehrpersonen, verständnisvolle Schulleitungen und kooperative Eltern tragen zum Wohlbefinden der Lehrpersonen bei, während Konflikte mit Schülerinnen und Schülern, mangelnde Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen, fehlende Unterstützung von  Schulleitungen oder Differenzen mit Eltern das Wohlbefinden beeinträchtigen können. Da vielen Lehrpersonen das Wohlbefinden ihrer Schülerinnen und Schüler am Herzen liegt, spiegelt sich diese auch im persönlichen Erleben der Lehrpersonen wider. Wenn sich Kinder und Jugendliche in der Schule wohlfühlen, sind sie eher bereit, sich den schulischen Herausforderungen zu stellen und auch bei geringer Motivation zu lernen, was wiederum das Wohlbefinden der Lehrpersonen fördert.

Was sich im System Schule ändern muss

Wohlbefinden ist zwar ein subjektives und individuelles Erlebnis, aber es liegt nicht nur in den Händen von Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern. Vielmehr spielen die schulischen Rahmenbedingungen ebenfalls eine wesentliche Rolle. So sind Schulleitungen mitverantwortlich dafür, die Belastungen der Lehrenden und Lernenden zu reduzieren und deren Ressourcen zu optimieren. Gut geleitete Schulen fördern durch partizipative Führung die Einbindung der Lehrpersonen und die Zusammenarbeit im Kollegium und beziehen Schülerinnen und Schüler sowie Eltern aktiv in die Schulgestaltung ein. Darüber hinaus können Schulprogramme umgesetzt werden, an denen die gesamte Schule teilnimmt, etwa zur Verbesserung des Schulklimas, der mentalen Gesundheit oder des sozio-emotionalen Lernens. All diese Ansätze verbindet das Ziel, Schulen so zu gestalten, dass die Stärken der einzelnen Personen, die Kraft der Gemeinschaft und die Qualität von Lehr- und Lernprozessen im Mittelpunkt stehen (z.B. Quinlan & Hone, 2020).

  • Carroll, A., York, A., Fynes-Clinton, S., Sanders-O’Connor, E., Flynn, L., Bower, J. M., Forrest, K., & Ziaei, M. (2021). The downstream effects of teacher well-being programs: Improvements in teachers’ stress, cognition and well-being benefit their students. Frontiers in Psychology, 12, 689628.
  • Deci, E. & Ryan, R. (2008). Hedonia, eudaimonia, and well-being: An introduction. Journal of Happiness Studies, 9(1), S. 1–11.
  • Demerouti, E., Bakker, A. B., Nachreiner, F., & Schaufeli, W. (2001. The Job Demands–Resources Model of Burnout. Journal of Applied Psychology, 86(3), 499–512.
  • Diener, E. (1984). Subjective well-being. Psychological Bulletin, 95(3), 542–575.
  • Eccles, J. S., & Roeser, R. W. (2011). Schools as developmental contexts during adolescence. Journal of Research on Adolescence, 21(1), 225–241.
  • Hagenauer. G., & Raufelder, D. (Hrsg.) (2021). Soziale Eingebundenheit. Sozialbeziehungen im Fokus von Schule und LehrerInnenbildung. Waxmann.
  • Hascher, T. (2004). Wohlbefinden in der Schule. Waxmann.
  • Hascher, T., Morinaj, J., & Waber, J. (2018). Schulisches Wohlbefinden: Eine Einführung in Konzept und Forschungsstand. In K. Rathmann & K. Hurrelmann (Hrsg.), Leistung und Wohlbefinden in der Schule: Herausforderung Inklusion (S. 66–82). Beltz Juventa.
  • Hascher, T., & Waber, J. (2021). Teacher well-being. A systematic review. Educational Research Review, 34, 100411.
  • Quinlan, D. M., & Hone, L. C. (2020). An educators’ guide to whole-school wellbeing. Routledge.