Worauf es beim Klassenmanagement ankommt
Im Gastbeitrag erläutert Prof. Felicitas Thiel die verschiedenen Facetten der Klassenführung und erklärt wie Lehrkräfte mit Störungen bestmöglich umgehen können.
Eine Klasse gut zu unterrichten ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine komplexe Aufgabe und große Herausforderung für Lehrkräfte. Dabei ist effektives Klassenmanagement eine ganz wesentliche Voraussetzung. Welche Strategien und Ansätze es dafür gibt und wie Lehrkräfte Störungen konstruktiv begegnen können, erläutert Prof. Felicitas Thiel.
Neben der kognitiven Aktivierung und der konstruktiven Unterstützung von Schüler:innen zählt Klassenmanagement zu den drei zentralen Basisdimensionen der Unterrichtsqualität. Während kognitive Aktivierung und konstruktive Unterstützung sich unmittelbar auf die kognitiven und motivationalen Prozesse des Lernens beziehen, geht es beim Klassenmanagement um die Gestaltung und Steuerung der Interaktion im Klassenzimmer. Die Herausforderung für Lehrkräfte besteht darin, die unterschiedlichen Handlungen und Handlungsimpulse der Schüler:innen so zu koordinieren, dass Störungen des Unterrichts minimiert und die aktive Lernzeit möglichst aller Schüler:innen maximiert wird.
Zahlreiche Einzelstudien und Metaanalysen zeigen, dass ein effektives Klassenmanagement für den Lernerfolg der Schüler:innen einen hohen Stellenwert hat. Es ist aber auch für das Wohlbefinden der Lehrkräfte entscheidend.
In der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften war Klassenmanagement bis vor wenigen Jahren ein vernachlässigtes Thema. Inzwischen liegen viele Praxishandreichungen vor und Klassenmanagement ist ein fester Bestandteil der Ausbildung von Lehrkräften über alle Phasen hinweg. Häufig erfolgt dabei allerdings eine Beschränkung auf einzelne Ansätze des Klassenmanagements oder unterschiedliche Strategien werden unverbunden in Form von Listen präsentiert.
Welche Ansätze des Klassenmanagements werden in der Forschung unterschieden?
Lange Zeit wurde ein effektives Klassenmanagement mit einer effektiven Störungsintervention gleichgesetzt. Erwartetes Verhalten wird dem behavioristischen Ansatz entsprechend positiv verstärkt und regelverletzendes Verhalten bestraft beziehungsweise durch Ignorieren „gelöscht“. Dieser Ansatz wurde häufig für seine reaktive Ausrichtung kritisiert. Er spielt aber auch heute noch eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Funktionen des Verhaltens einzelner Schüler:innen zu verstehen und Strategien zur Modifikation dieses Verhaltens zu entwickeln.
In Abgrenzung zum behavioristischen Ansatz geht es beim sogenannten ökologischen Ansatz nicht um einen reaktiven Umgang mit dem Verhalten einzelner Schüler:innen, sondern um die Gestaltung der Interaktion im Klassenzimmer beziehungsweise um die Steuerung des Unterrichtsflusses. Als Voraussetzung einer gelingenden Steuerung des Unterrichtsflusses wird das frühzeitige Erkennen von kritischen Ereignissen, das sogenannte Monitoring, intensiv untersucht.
„Studien zeigen, dass Regeln und Routinen zu Beginn eines Schuljahrs beziehungsweise bei Übernahme einer neuen Klasse eingeführt und eingeübt werden müssen.“
Prof. Dr. Felicitas Thiel
Ein weiterer Ansatz beschäftigt sich mit der Einführung von Regeln und Routinen. Regeln, definiert als Verhaltenserwartungen für bestimmte Situationen und Routinen, das sind Verhaltensskripts für wiederkehrende Anforderungen (etwa das Austeilen von Arbeitsblättern), stecken den Rahmen ab für eine gelingende Interaktion im Klassenzimmer. Studien zeigen, dass Regeln und Routinen zu Beginn eines Schuljahrs beziehungsweise bei Übernahme einer neuen Klasse eingeführt und eingeübt werden müssen.
Während die genannten Ansätze auf Maßnahmen zur Verhaltensmodifikation und Strategien zur Gestaltung und Steuerung der Interaktion im Klassenzimmer gerichtet sind, heben einige Autor:innen die grundlegende Bedeutung der Gestaltung der Beziehungen im Klassenzimmer für das Klassenmanagement hervor. Dabei wird nicht nur der Stellenwert eines positiven, unterstützenden Lehrkraftverhaltens, sondern auch die Bedeutung einer positiven Peerkultur betont.
Was sind zentrale Anforderungen für erfolgreiches Klassenmanagement?
Alle dargestellten Ansätze haben ihre Berechtigung. Sie thematisieren unterschiedliche Anforderungen der Gestaltung und Steuerung einer lerndienlichen Interaktion im Klassenzimmer und identifizieren Strategien, die erst im Zusammenwirken ein effektives Klassenmanagement ergeben.
Ein Modell zur Integration der beschriebenen Ansätze sollte drei Bereiche unterscheiden:
- die Etablierung einer Interaktionsordnung bei Übernahme einer neuen Klasse,
- die Steuerung der Interaktion in jeder einzelnen Stunde,
- die Bearbeitung von Konflikten, die im Unterricht auftreten.
In Abbildung 1 sind die drei Anforderungen zueinander in Beziehung gesetzt. Grundlegend für eine konstruktive Bewältigung der Anforderungen ist ein Arbeitsbündnis zwischen Lehrkraft und Schüler:innen. Dieses Arbeitsbündnis drückt sich durch eine professionelle Selbstpräsentation aus, in der die Lehrkraft ihre Zuständigkeit für die Schüler:innen verdeutlicht, und auch durch eine vertrauensvolle Kommunikation.
Die Etablierung einer Interaktionsordnung umfasst zunächst die Einführung von Regeln und Routinen. Regeln sind Verhaltenserwartungen für konkrete Situationen (zum Beispiel „Im Klassengespräch lassen wir uns ausreden“) und beziehen sich immer auf Normen, das heißt übergeordnete Prinzipien, an die sich alle gebunden fühlen (etwa „Wir respektieren uns gegenseitig“). Die Lehrkraft muss, bevor sie Regeln einführt, sicherstellen, dass die zugrundeliegenden Normen akzeptiert werden. Neben Routinen für eine zeitsparenden und flüssige Erledigung regelmäßig anfallender Aktivitäten (zum Beispiel Übergänge zwischen zwei Phasen des Unterrichts) sollte die Lehrkraft auch Rituale nutzen. In Ritualen – wie etwa einem Begrüßungsritual – wird Verbundenheit und wechselseitige Anerkennung zum Ausdruck gebracht.
Die Steuerung der Interaktion erfolgt im Rahmen der Interaktionsordnung. Weil die Interaktion im Klassenzimmer sehr dynamisch ist und Ablenkungen sowie Störungen des Lernprozesses häufig vorkommen, muss die Lehrkraft in jeder Stunde eine Vielzahl von Steuerungsaktivitäten entfalten. Zunächst muss sie ein klares Handlungsprogramm kommunizieren, also Informationen darüber bereitstellen, wer, was, mit wem, wie lange und mit welchem Ziel tun soll. Ist das Handlungsprogramm nicht klar, erfolgen häufige Rückfragen, die den Unterrichtsfluss unterbrechen. Ein kontinuierliches Monitoring der Lehrkraft ist erforderlich, um zielsicher zu identifizieren, wo Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Handlungsprogramms bestehen und wo die Lehrkraft durch Signalsteuerung unterstützen muss. In Phasen, in denen ein Großteil der Klasse keine aktive Rolle hat (etwa bei Schüler:innen- oder Lehrkraftpräsentationen), muss die Lehrkraft für eine Aktivierung Sorge tragen – und wenn Störungen das geplante Handlungsprogramm beeinträchtigen, muss die Lehrkraft entscheiden, wie sie reagiert.
Der Umgang mit Konflikten wird als eigener Anforderungsbereich betrachtet, weil sich Konflikte von Störungen insofern unterscheiden, als in einer Konfliktsituation grundsätzliche Unterschiede zwischen Interessen oder Werten der Konfliktparteien aufbrechen. Ein Konflikt erfordert immer einen Wechsel in die Metakommunikation. Er kann in der Situation nicht aufgelöst werden. Entscheidend ist, dass es der Lehrkraft gelingt, so zu reagieren, dass die Möglichkeit einer Metakommunikation (sinnvollerweise meist außerhalb des Unterrichts) eröffnet wird und dass sie das Konfliktgespräch konstruktiv gestaltet.
„Der Umgang mit Störungen wird von den meisten Lehrkräften als belastend erlebt.“
Prof. Dr. Felicitas Thiel
Wie können Lehrkräfte mit Störungen effektiv umgehen?
Eine besondere Herausforderung des Klassenmanagements besteht im Umgang mit Störungen. Die Lehrkraft muss in einer Störungssituation entscheiden, ob sie die Störung ignoriert, ob sie ermahnt, also an die Regel erinnert, ob sie zurechtweist, das heißt eine Veränderung des Verhaltens verlangt und Sanktionen für eine ausbleibende Verhaltensänderung ankündigt, oder ob sie ein Konfliktgespräch verabredet. Die Lehrkraft muss also einschätzen können, ob sie durch eine Intervention den Unterrichtsfluss unnötigerweise unterbricht oder ob sich ohne Intervention eine Störung ausbreitet. Kleinere Störungen sollte die Lehrkraft gezielt ignorieren. Auf der nächsten Stufe folgen nonverbale oder verbale Ermahnungen, und wenn die Lehrkraft zu der Einschätzung kommt, dass es sich um eine Konfrontationssituation handelt, die nicht durch eine Ermahnung beendet werden kann, weist die Lehrkraft ruhig aber bestimmt zurecht. Wichtig ist, dass sie gleichzeitig den Unterrichtsfluss nicht aus dem Blick verliert und den Rest der Klasse aktiviert.
Der Umgang mit Störungen wird von den meisten Lehrkräften als belastend erlebt. Das hat nicht nur damit zu tun, dass eine Störungsintervention häufig das Arbeitsbündnis mit den Schüler:innen bedroht, sondern auch mit dem Zwang, unter starkem Zeitdruck und emotionalem Druck die richtige Entscheidung zu treffen. Weil Emotionen, insbesondere Ärger und Angst, hier eine wichtige Rolle spielen, sind für ein erfolgreiches Klassenmanagement neben Handlungsstrategien auch Strategien zur Emotionsregulation von großer Bedeutung.