Zukunftskompetenz Selbstregulation: Neue Impulse aus dem SWK-Gutachten
Das SWK-Gutachten betont die strategische Bedeutung selbstregulierten Lernens für Lehrkräftebildung, Unterrichtspraxis und Systementwicklung

Das Konzept des selbstregulierten Lernens rückt stärker in den Fokus von Wissenschaft und Bildungspolitik. Im Interview erklärt Prof. Ulrich Trautwein, warum das aktuelle Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz diese Leitperspektive überzeugend aufgreift – und wo es trotz wachsender Aufmerksamkeit an Forschung und Umsetzung fehlt.
Redaktion: Im aktuellen Gutachten der SWK liegt eine starke Betonung auf dem Bereich des selbstregulierten Lernens. Inwieweit ist die Bedeutung des Themas im deutschen Bildungskontext angekommen?
Prof. Dr. Ulrich Trautwein: Wir machen aus meiner Sicht deutliche Fortschritte dabei, die Förderung von Selbstregulationskompetenzen als Leitperspektive im Bildungssystem zu etablieren, wie unlängst eine Stellungnahme der Leopoldina gefordert hat. Im Sinne dieser Stellungnahme betont das Gutachten der SWK die Notwendigkeit, dass Unterrichtsentwicklung und Lehrkräftebildung die Selbstregulationskompetenzen stärker und nachhaltig in den Blick nehmen müssen und verweist hierbei auch auf die Standards für die Lehrkräftebildung.
Auch in der öffentlichen Debatte wird das Thema übrigens zunehmend aufgegriffen – sei es durch Interviews, Fachbeiträge oder Bildungsberichte. Das zeigt: Selbstreguliertes Lernen ist nicht mehr nur ein Randthema, sondern rückt ins Zentrum von pädagogischen und bildungspolitischen Überlegungen zur Verbesserung des Schulsystems.
Redaktion: Das Gutachten der SWK wird vielfach diskutiert. Welche Aspekte gefallen Ihnen besonders gut?
Trautwein: Das SWK-Gutachten fokussiert auf einen für den Unterricht besonders wichtigen Aspekt von Selbstregulationskompetenzen: das selbstregulierte Lernen. Bei den Ausführungen verwendet die SWK genau das richtige Komplexitätsniveau für einen breiten Adressatenkreis. Die SWK betont völlig zu Recht, dass selbstreguliertes Lernen nicht losgelöst vom jeweiligen Fachkontext verstanden werden kann. Und noch ein Punkt ist besonders hervorzuheben: Das Gutachten spricht ein bestehendes Missverständnis an, wonach selbstreguliertes Lernen bedeute, dass Lernende „alles selbst bestimmen“ oder komplett autonom agieren. Das ist grundfalsch. Es geht vielmehr um den angeleiteten Erwerb von Autonomie, um die Entwicklung von Strategien zur Steuerung des eigenen Lernprozesses und um die Verantwortung, die die Lehrkräfte hierfür haben.
Redaktion: Gibt es aus Ihrer Sicht Aspekte von Selbstregulation, die die SWK noch stärker hätte berücksichtigen können?
Trautwein: Selbstregulationskompetenzen sind in vielen Bereichen wichtig. Die SWK hat sich aus guten Gründen auf das selbstregulierte Lernen in Schlüsselfächern konzentriert. Allerdings kann und sollte man die Förderung von Selbstregulationskompetenzen im Bildungssystem noch breiter denken: Umgang mit Stresssituationen, körperliche und psychische Gesundheit, der Umgang mit sozialen Medien, Risikoverhalten und Suchtgefahren – hier spielt überall mit hinein, welche Selbstregulationskompetenzen Kinder und Jugendliche erworben haben. Bildungseinrichtungen müssen diese Themen auf dem Schirm haben und Förderstrategien entwickeln, wobei ganz explizit auch die Ganztagsschule in den Blick genommen werden sollte. Übrigens auch von der Wissenschaft.
Redaktion: Herr Professor Trautwein, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person
Ulrich Trautwein ist Professor für Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen, geschäftsführender Direktor des Hector-Instituts für Empirische Bildungsforschung, Co-Direktor des LEAD Graduate School & Research Network sowie Studiengangsleiter des Weiterbildungsstudiengangs „Schulmanagement und Leadership“ an der Universität Tübingen.