„Es nützt nichts, schlechte Praxis zu kopieren”

SWK-Talk: Prof. Thiel und Prof. Köller haben bei einer gut besuchten Online-Veranstaltung die Empfehlungen des neuen Gutachtens zur Lehrkräfteausbildung erläutert – und auch auf Kritik reagiert

Drei Tage nach der Veröffentlichung der desolaten Ergebnisse der Pisa-Studie 2022 hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) ihr Gutachten zur Lehrkräftegewinnung und -bildung vorgestellt. Man habe „im Schatten von Pisa” gesprochen, sagte Prof. Felicitas Thiel jetzt beim ersten “SWK-Talk”, durch den die Co-Vorsitzende der SWK an der Seite ihres Kollegen Prof. Olaf Köller führte.

Der Schatten von Pisa, er war auch eine Woche später noch zu spüren bei der neuen Online-Veranstaltungsreihe, die Gelegenheit bieten soll, das Gutachten und seine weitreichenden Empfehlungen zu diskutieren. Das Interesse zum Auftakt war groß: mehr als 550 Interessierte waren dabei und hinterfragten zum Teil kritisch, wie es mit der Lehrkräftebildung denn nun vor dem Hintergrund des erheblichen Lehrkräftemangels und des Pisa-Schocks 2.0 weitergehen soll.

Das übergeordnete Ziel der umfangreichen Empfehlungen des SWK-Gutachtens sei, „ein klar strukturiertes Qualifikationssystem über alle drei Phasen der Lehrkräfteausbildung zu entwickeln”, machte Prof. Thiel in ihrer Vorstellung des Gutachtens nochmals deutlich. Mehr Qualität und mehr Kohärenz solle die Ausbildung bieten und dabei – auch mit Blick auf andere Gewinner-Länder bei Pisa –  besser „Karrierewege definieren”. Dies sei unter anderem wichtig für Quereinsteigende , die in der Gleichung der SWK eine wichtige Größe sind, um ausreichend qualifizierte Lehrkräfte sicherzustellen. 

Ein-Fach-Lehrkräfte zulassen

Eines der größten Probleme, das sich hierbei immer wieder stellt: Viele potentielle Lehrkräfte (etwa Mathematikerinnen und Mathematiker) haben nur ein Fach studiert, fürs Lehramt benötigen sie bisher aber zwei, fürs Grundschullehramt sogar drei. Die SWK will dieses Hindernis nun abräumen und zumindest für die Sekundarschule auch Ein-Fach-Lehrer zulassen.

Dafür soll ein neues zweijähriges Masterstudium zugeschnitten werden – mit ausreichend Didaktik und Pädagogik, daran angedockt wird der Vorbereitungsdienst. Bei der Grundschule sollen nur zwei statt bisher drei Fächer im Quereinstiegs-Bachelor belegt werden, das dritte kommt berufsbegleitend dazu. Tausende demnach nicht ausreichend qualifizierte, aber schon im System befindliche Lehrkräfte sollen über einen massiven Ausbau und die Verbesserung der Fortbildungen aufgefangen werden mit einer Fortbildungsverpflichtung von 30 Stunden pro Jahr, wie es sie bereits in Hamburg gibt. Im Moment sähe man in diesem Bereich in den meisten Ländern „keine vernünftige Angebotsplanung, keine vernünftige Qualitätssicherung, keine Qualifizierung der Dozentinnen und Dozenten”, sagte Thiel. 

Druck von der letzten Phase der Lehrkräfteausbildung nehmen

Die SWK rät zudem dazu, die Prüfungen für Lehramtsstudierende zeitgemäßer und einheitlicher über die Bundesländer hinweg zu gestalten und angemessener über das Studium zu verteilen. Der Druck müsse vor allem von der letzten Phase genommen werden. Das Referendariat solle auf zwölf Monate verkürzt und durch eine umfangreichere Betreuung durch Mentorinnen und Mentoren besser ans Studium angebunden werden. All das solle auch das Risiko eines Studienabbruchs reduzieren. 

Wichtig sei es des Weiteren, mehr Personen für Assistenzfunktionen zu qualifizieren, um etwa die Lehrkräfte in administrativen Funktionen zu entlasten. In England machten Schulbegleitpersonen und Assistenzen schon ein Viertel der Beschäftigten aus, stellte Prof. Thiel dar.

KMK-Präsidentin sieht sich von der Wissenschaft bestätigt

Katharina Günther-Wünsch, Präsidentin der Kultusminister-Konferenz (KMK), Senatorin für Bildung, Jugend und Familie des Landes Berlin und Mitgastgeberin der Veranstaltung, sah die Politik bei der Lehrkräftebildung im Einklang mit dem, was die wissenschaftlichen Gutachter nun empfehlen: Man wolle von politischer Seite ein kürzeres Studium bei gleichzeitiger Erhöhung der Praxisanteile. Letzteres auch, um den „sogenannten Praxisschock”, der aus allen Bundesländern für einen Großteil der Referendarinnen und Referendare berichtet werde, zu adressieren, so Günther-Wünsch weiter. Gleichzeitig hätten alle 16 Kultusministerinnen und -minister es begrüßt, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die hohen Qualitätsstandards betonen, die in der Ausbildung gehalten werden müssten. Trotz Lehrkräftemangels dürfe man nicht den Eindruck erwecken, „dass wir jeden nehmen”.

Natürlich brauche es, so Günther-Wünsch weiter, gegen den akuten Lehrkräftemangel auch Maßnahmen, die schneller greifen, als den Nachschub über den regulären Ausbildungsweg zu sichern. Die Ein-Fach-Lehrer seien hierbei insbesondere für Quereinsteigende wichtig, mit der Einschränkung, dass diese Optionen nur für Fächer gelten solle, in denen es auch einen Mangel gebe. „Wir brauchen jetzt nicht noch den hundertsten Geschichtslehrer.” Ebenfalls kurzfristig wirksam und anzustreben sei eine bessere Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Die Frage sei, wie man die Hürden senke und gleichzeitig die sprachlichen Barrieren abbaue.

Absage ans duale Studium nach dem Schweizer Modell

Auf eine Anregung aus der Zuhörerschaft machte die KMK-Präsidentin auch nochmals deutlich, dass es wichtig sei, die Datenerhebung etwa zu Lehrkräftebedarf und -versorgung zeitnah zu verbessern: „Wir brauchen diese Daten, wenn wir Antworten finden und Maßnahmen einleiten wollen. Die KMK wird sich dieser Verantwortung gemeinsam mit den Hochschulen stellen.”

Auch warum die Idee eines dualen Studiums in der Lehrkräftebildung von Seiten der SWK in ihrem Gutachten abgelehnt wird, wurde gefragt. Hierzu verwies Prof. Thiel auf „große Schwierigkeiten", in der berufsintegrierten Variante des Studiums eine vernünftige Begleitung der Studierenden zu gewährleisten, wie man sie in der Schweiz sähe. „Wenn man da auf die Befunde schaut, kann man sehr skeptisch werden, weil hier nicht mehr die Ausbildung im Vordergrund steht, sondern die Unterrichtsabdeckung”, machte Prof. Thiel deutlich. Es sei ein Mythos zu sagen, man könne hier zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, also die Unterrichtsversorgung sichern und gleichzeitig ausbilden. Thiel: „Das funktioniert eben nicht.” Man wisse aus sehr vielen Studien, dass die Praxisphasen „gut begleitet und vorbereitet” sein müssen. In einem System wie dem deutschen, in dem man teilweise ein Problem mit schlechter Unterrichtspraxis habe, „nütze es überhaupt nichts, wenn man schlechte Praxis kopiert”, machte Thiel deutlich.

Köller: Gutachten nimmt auch die Hochschulen in die Pflicht

Prof. Köller widersprach einer Äußerung aus der Zuhörerschaft, die Mitglieder der Kommission hätten die Hochschulen selbst aus der Kritik herausgenommen. Köller: „Das würde ich doch bestreiten wollen. Gerade in Kapitel zwei befinden sich sehr viele implizite Kritikpunkte an den Hochschulen, was beispielsweise Grenzen der Studierbarkeit und fehlenden Professionsbezug betrifft.” Auch die fehlende Heimat für Lehramtsstudierende, die auf Fachbereiche verteilt sind, sei ein Problem, das die SWK in ihrem Gutachten anspreche, ebenso wie die Möglichkeit der Ministerien, über Zielvorgaben die Hochschulen besser zu „erziehen”. „Wir sehen also auch die Schwächen im Hochschulsystem, die in der Lehrkräfteausbildung bestehen.” Das zweite Kapitel, aber auch die Ausführungen zur Rolle der Hochschule in der Fort- und Weiterbildung seien „klare Aufforderungen an die Hochschulen, sich weiterzuentwickeln”.

Insgesamt bedürfe es des Gesamtpakets der vorgeschlagenen Maßnahmen, um bei der Lehrkräftebildung wirklich einen Schritt voran zu machen, betonte Prof. Thiel am Ende der Veranstaltung, einzelne Maßnahmen herauszugreifen würde nicht ausreichen. „Wir haben überall Bruchstellen, das ist genau das Problem.” Entsprechend sei das Projekt eine „Herkules-Aufgabe”, die man aber nun angehen müsse. Sozusagen „im Schatten von Pisa“, denn, das machte die SWK-Vorsitzende abschließend deutlich: „Wenn wir uns andere anschauen, dann können wir viel viel besser werden.”