Zufriedenheit im Lehrberuf: Eine Frage der Ausbildung?
Dr. Tim Fütterer von der Universität Tübingen spricht im Interview über die Bedeutung der Berufszufriedenheit von Lehrkräften und darüber, wie sie sich für Quer- und Seiteneinsteiger:innen verbessern lässt.
Eine internationale Studie mit über 120.000 Lehrerkräften zeigt: Quer- und Seiteneinsteiger:innen sind im Job oft weniger zufrieden als ihre traditionell ausgebildeten Kolleg:innen. Angesichts des dramatischen Mangels an Lehrer:innen ein durchaus problematischer Befund. Im Interview spricht Dr. Tim Fütterer über mögliche Verbesserungen in der curricularen Ausbildung von Quer- und Seiteneinsteiger:innen.
Redaktion: Herr Fütterer, Sie haben die Berufszufriedenheit von regulär ausgebildeten Lehrkräften und Quer-und Seiteneinsteiger:innen untersucht. Was haben Sie herausgefunden?
Dr. Tim Fütterer: Wir haben festgestellt, dass die Berufszufriedenheit von Quer- und Seiteneinsteiger:innen im Mittel niedriger ist als die von traditionell ausgebildeten Lehrkräften. Wir haben uns angeschaut, welche Faktoren mit diesem Unterschied in Zusammenhang stehen. Unsere Ergebnisse lassen sich so interpretieren, dass die Erstausbildung, die Lehrerinnen und Lehrer durchlaufen, nicht umsonst ist und mit Blick auf die Berufszufriedenheit entsprechend sinnvoll auf den Beruf vorbereitet. Dazu gehört auch, dass sich traditionell ausgebildete Lehrkräfte über einen längeren Zeitraum mit Peers und anderen pädagogischen Fachkräften über den Beruf austauschen konnten und deshalb möglicherweise auch realistischere Erwartungen an den Beruf als Lehrkraft haben. Gleichzeitig gilt: Die Ergebnisse unserer Studie bedeuten keinen Weltuntergang im Hinblick auf die Quer- und Seiteneinstiege, die Unterschiede zwischen beiden Gruppen sind klein. Die Studie kann jedoch zum Anlass genommen werden, weiter über Verbesserungspotential in der curricularen Vorbereitung auf den Beruf nachzudenken.
Redaktion: Welchen Einfluss haben die Arbeitsbedingungen an den Schulen darauf, wie zufrieden Lehrkräfte in ihrem Beruf sind?
Fütterer: Unabhängig vom Berufsweg gibt es mehrere Faktoren, die mit der Arbeitszufriedenheit von Lehrkräften zusammenhängen. Zum Beispiel weiß man, dass die Zufriedenheit wesentlich davon abhängt, ob sich jemand als selbstwirksam erlebt und ein Interesse am Job hat. In unserer Studie sehen wir, dass zu wenige Kolleginnen und Kollegen ebenso wie eine unzureichende Ausstattung wie beispielsweise ein Mangel an Lehrmaterialien oder eine unzureichende IT-Infrastruktur bedeutsam sind. Wenn es an einer Schule nicht genügend Lehrkräfte gibt, führt das wahrscheinlich zu einer höheren Arbeitsbelastung für die verbliebenen Kolleginnen und Kollegen. Auch das Schülerverhalten, zum Beispiel mangelnder Respekt der Lernenden gegenüber den Lehrkräften, spielt eine Rolle für die Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Diese Kontextfaktoren gelten für Quer- und Seiteneinsteiger:innen und traditionell ausgebildete Lehrinnen und Lehrer gleichermaßen.
„Es gibt Studien, die zeigen, dass eine niedrige Arbeitszufriedenheit mit einer niedrigeren Unterrichtsqualität einhergeht.“
Dr. Tim Fütterer
Redaktion: Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Berufszufriedenheit und Unterrichtsqualität?
Fütterer: In unserer eigenen Studie haben wir uns den Zusammenhang zwischen Arbeitszufriedenheit und Unterrichtsqualität nicht angeschaut. Aber es gibt Studien, die zeigen, dass eine niedrige Arbeitszufriedenheit tatsächlich auch mit einer niedrigeren Unterrichtsqualität einhergehen kann. Insofern ist unser Befund bezüglich einer geringeren Zufriedenheit bei Quereinsteiger:innen durchaus problematisch, denn das Ziel von Schulen ist es, qualitativ hochwertigen Unterricht zu gewährleisten.
Redaktion: Die Inhalte von traditionellen Ausbildungsprogrammen für Lehrkräfte sind viel umfassender, als das, was in der Vorbereitung für Quer- und Seiteneinsteiger:innen geleistet werden kann. Wie lassen sich die gegenwärtigen Professionalisierungsmodelle für alternative Wege ins Lehramt qualitativ verbessern?
Fütterer: Ich denke, dass Quer- und Seiteneinstiege funktionieren können, wenn erstens die richtigen Mitarbeitenden ausgewählt werden und zweitens diese eine erstklassige pädagogisch-psychologische und fachdidaktische Ausbildung erhalten. Die sollte teilweise vorbereitend sein, dann aber auch intensiv berufsbegleitend. Zudem könnten sich auch Monitoring-Modelle bewähren, die nach dieser Einstiegsphase weitergehen. Das sind jedoch lediglich Annahmen, die es zukünftig zu prüfen gilt. Entscheidend ist daher zunächst, dass Modelle und Maßnahmen evaluiert werden. Aktuell fehlen uns hierfür die Daten. Wir wissen schlicht nicht, wie Quer- und Seiteneinsteiger:innen am besten auf den Beruf vorbereitet werden können und welche Maßnahmen wirksam sind. Wenn wir wissen, was wirkt, sollten wir die entsprechenden Elemente in ein standardisiertes Modell integrieren. Die Qualifizierung von Quer- und Seiteneinsteiger:innen ist derzeit nicht nur bundesweit, sondern teilweise auch innerhalb eines Bundeslandes sehr unterschiedlich geregelt. Mitunter kann es sein, dass Quer- und Seiteneinsteiger:innen von Tag eins vor der Klasse stehen und als Hilfsmittel lediglich die Schulbücher in die Hand bekommen. In anderen Schulen werden Quer- und Seiteneinsteiger:innen zumindest von Mentorinnen und Mentoren begleitet. Es fehlt ein standardisiertes Modell. Dabei gibt es durchaus Vorbilder für standardisierte Ausbildungsprogramme, an denen man sich orientieren könnte. Dazu gehören meines Erachtens Elemente, wie sie beispielsweise in „Teach First“-Konzepten vorgesehen sind. Konzepte, in welchen beispielsweise Feedback und Professional Learning Communities mit einem systematischen Ausbildungsplan verbunden werden. Auf solche Elemente aus standardisierten Programmen könnten auch Professionalisierungsmodelle für Quer- und Seiteneinsteiger:innen zurückgreifen.
„Die Rahmenbedingungen sollten so gestaltet werden, dass sich Lehrerinnen und Lehrer auf das konzentrieren können, was ihre Kernaufgabe ist: das Unterrichten und die Arbeit mit jungen Menschen.“
Dr. Tim Fütterer
Redaktion: Quer- und Seiteneinsteiger:innen wechseln im Lehrberuf zurück in eine Novizenrolle. Aus ihrem vorherigen Beruf bringen sie jedoch meist wertvolle Vorerfahrung mit. Wie lässt sich diesem Umstand in der Fortbildung von Quer- und Seiteneinsteiger:innen gerecht werden?
Fütterer: Auch hier fehlen uns leider Daten. Jedoch kann ich mir gut vorstellen, dass adaptive, individualisierte Fortbildungskonzepte ein Weg sein könnten, um gezielt auf Vorerfahrungen und Eingangsvoraussetzungen von Quer- und Seiteneinsteigern aufzubauen. Für Fortbildungen zum Thema Digitalisierung schaue ich mir aktuell beispielsweise an, welche Eingangsvoraussetzungen für welche Personengruppen überhaupt wirksam sind. Wenn es um den Einsatz digitaler Medien im Unterricht geht, brauchen beispielsweise nicht alle Teilnehmenden eine Einführung zur technologischen Bedienfähigkeit, weil sie dieses Wissen bereits mitbringen – besonders, wenn sie aus einem früheren Beruf bereits Expertin oder Experte in diesem Bereich sind. In diesem Fall könnte sich die Fortbildung direkt auf andere Inhalte konzentrieren. Leider sind wir in Deutschland noch weit davon entfernt, flächendeckend wirksame und individualisierte Fortbildungsangebote zu organisieren. Gleichzeitig darf man die Herausforderungen nicht aus dem Blick verlieren: Bei adaptiven Fortbildungen müssen die Eingangsvoraussetzungen der Teilnehmenden zunächst erfasst werden. Verlassen wir uns dabei auf die Selbsteinschätzungen der Lehrkräfte, so muss bedacht werden, dass die Forschung zu Lehrerfortbildungen recht deutlich zeigt, dass Lehrerkräfte dazu neigen, sich in den Bereichen weiterzubilden, die ihnen ohnehin liegen beziehungsweise für die sie sich interessieren. Der Bildungsgedanke, Defizite und eigene Schwächen durch Fortbildungen auszugleichen, fällt dagegen ab. Ob solch ein Selbstselektionssystem in der Praxis funktionieren kann, ist daher fraglich.
Redaktion: Welche bildungspolitischen Entscheidungen wünschen Sie sich in Bezug auf die Qualifizierung von Quer- und Seiteneinsteiger:innen?
Fütterer: Ich würde gerne bei der Ursache ansetzen und fragen: Woher kommt der Lehrkräftemangel? Bei der Antwort auf diese Frage steht für mich die Attraktivität der Rahmenbedingungen an erster Stelle. Ich glaube nicht, dass das Gehalt von Lehrkräften, über das viel diskutiert wird, den Ausschlag gibt. Vielmehr denke ich, dass die Rahmenbedingungen so gestaltet sein sollten, dass sich Lehrerinnen und Lehrer auf das konzentrieren können, was ihre Kernaufgabe ist: das Unterrichten. Dafür kann man sich auch anschauen, warum viele junge Menschen Lehramt studieren. Da sind einerseits das Fachinteresse und andererseits das Interesse, mit jungen Menschen zusammenzuarbeiten. Wenn dies jedoch im Beruf weniger gegeben ist, weil Lehrkräfte mit tausend anderen Dingen beschäftigt sind, ist es nicht verwunderlich, dass die Motivation und die Arbeitszufriedenheit sinken. Ich kann mir gut vorstellen, dass multiprofessionelle Teams hier auf sinnvolle Weise für Entlastung sorgen können. Solche Rahmenbedingungen zu optimieren, halte ich für einen wichtigen Schritt, um dem Lehrkräftemangel entgegenzuwirken.
Vereinfacht gesagt gibt zwei „Lösungsvorschläge“, die immer wieder diskutiert werden. Erstens: Ein höheres Gehalt, in gewisser Weise also „Schmerzensgeld“. Zweitens: Für Zufriedenheit sorgen, indem die Bedürfnisse der Lehrkräfte erkannt werden. Sie müssen sich als selbstwirksam erleben in einer Tätigkeit, die Sinn ergibt. Vermutlich ergibt sich am Ende ein Verhältnis von 20 Prozent für den ersten und 80 Prozent für den zweiten Vorschlag.
„Wir sollten schnellstmöglich sicherstellen, dass Quer- und Seiteneinsteiger:innen bedarfs- und bedürfnisgerecht auf ihre Aufgabe vorbereitet werden, um qualitativ hochwertigen Unterricht zu leisten.“
Dr. Tim Fütterer
Zudem stellt sich für mich die Frage, warum der Lehrkräftebedarf nicht besser planbar ist –, selbst bei gegebenenfalls eher unvorhergesehenen Entwicklungen wie beispielsweise stärkeren Wünschen nach Teilzeitbeschäftigungen oder Migration und Flucht. Man kennt die Geburtenraten und weiß, wie viele Studierende in Lehramtsstudiengängen eingeschrieben sind, und doch fehlen am Ende Lehrkräfte in den Schulen. Hier würde ich mir ein besseres Monitoring wünschen.
Und zu Ihrer Eingangsfrage: Beim gegenwärtigen Status quo, bei dem unser Bildungssystem auf Quer- und Seiteneinsteiger:innen angewiesen ist, würde ich mir wünschen, dass schnellstmöglich sichergestellt wird, dass diese bedarfs- und bedürfnisgerecht auf ihre Aufgabe vorbereitet werden, um qualitativ hochwertigen Unterricht leisten zu können.
„Niemand würde auf den Gedanken kommen, Quer- und Seiteneinsteiger:innen in den OP zu schicken, weil man davon ausgeht, dass die Ausbildung für diese Profession von Bedeutung ist.“
Dr. Tim Fütterer
Redaktion: Eine berufliche Neuorientierung ist auch in anderen Branchen möglich, jedoch zumeist an entsprechende Fortbildungen und Zertifizierungen geknüpft. Warum bildet ausgerechnet der Lehrberuf hierbei eine Ausnahme?
Fütterer: Ein Punkt ist die drängende Personalfrage. Wir haben einen extremen Lehrkräftemangel und vielen Schulen geht es darum, Unterrichtsausfälle zu vermeiden. Für mich spielt aber auch das Professionsverständnis eine große Rolle. Im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen wie Ärztinnen oder Juristen habe ich den Eindruck, dass es einigen Lehrerinnen und Lehrern an einem eigenen Bewusstsein für die Profession, sprich einem Professionsverständnis fehlt. Dazu gehört zum Beispiel auch die korrekte und selbstverständliche Verwendung von Fachsprache wie das Widergeben von Motivationstheorien und die Fähigkeit, daraus situativ Unterrichtsmaßnahmen zu entwickeln. Niemand würde auf den Gedanken kommen, Quer- und Seiteneinsteiger:innen in den OP zu schicken oder Mandanten vor Gericht zu vertreten, weil man davon ausgeht, dass die Ausbildung für diese Profession von Bedeutung ist. Im Lehrberuf scheint jedoch die Annahme zu herrschen, dass jeder wirksamen Unterricht gestalten kann. An diesem Professionsverständnis sollten wir alle, die in diesem Bereich tätig sind, also unter anderem Ausbildende – hier schließe ich mich selbst mit ein – und Lehrkräfte, arbeiten.
Redaktion: Herr Doktor Fütterer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Zur Person
Dr. Tim Fütterer ist ausgebildeter Lehrer und Wissenschaftler am Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen. Sein Forschungsinteresse liegt unter anderem in der Professionalisierung von Lehrpersonen.