Gut erklärt ist halb gelernt
Wie Lehrererklärungen verständlich und gleichzeitig motivierend gestaltet werden können
Schülerinnen und Schüler brauchen mal mehr, mal weniger Erklärungen von Lehrerinnen und Lehrern. Assoz. Prof. Dr. Christiane Schopf hat erforscht, ob es ein Rezept für gelungene Erklärungen gibt. In diesem Gastbeitrag gibt sie Empfehlungen, wie Erklärungen aussehen sollten, um verständlich und gleichzeitig motivierend zu sein.
Gut, das heißt verständlich und motivierend erklären können ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, über die Lehrkräfte verfügen sollten. Sowohl die Erfahrung als auch die Forschung zeigen, dass es sich hierbei um eine sehr komplexe Fähigkeit handelt, die aber zumindest bis zu einem gewissen Grad erlernbar ist.
Worauf sollte bei der Gestaltung von Lehrererklärungen geachtet werden?
Die Abbildung zeigt, welche Elemente eine Lehrererklärung beinhalten, welche Merkmale sie erfüllen und wie sie aufgebaut sein sollte, um für Schülerinnen und Schüler möglichst verständlich und motivierend zu sein (vgl. Schopf/Zwischenbrugger, 2015a/b; Schopf, 2023a).
In der Regel ist das Ziel einer Lehrererklärung, für die Schülerinnen und Schüler ein allgemeines Konzept oder Prinzip zu erschließen, um ihnen die Konstruktion eines Schemas beziehungsweise mentalen Modells zu erleichtern. Um dies zu erreichen, sollte eine Erklärung Antworten auf vier Fragen beinhalten:
- Was ist es? (Begriffsklärung)
- Wie geht es? (Handlungserklärung)
- Warum ist/geht es so? (Begründung)
- Wozu braucht man es? (Nutzen/Anwendung)
Die Kernaussagen sollten anhand von einem oder mehreren konkreten, typischen, realitäts- und schülernahen Beispiel/en herausgearbeitet werden und explizit in Form von allgemeinen Regeln formuliert sein. Dadurch erreicht die Erklärung automatisch eine gewisse Redundanz.
Zudem sollten die zentralen Inhalte visualisiert werden – idealerweise nicht nur in verbaler Form (zum Beispiel: Bullet Points, Formeln, Merksätze), sondern (auch) mithilfe bildhafter Darstellungen. Soweit sinnvoll sollten als zusätzliche Unterstützung Analogien, Metaphern und/oder Storytelling genutzt werden.
Zentral für die Wissenskonstruktion ist, dass die Erklärung möglichst unmittelbar am Vorwissen der Schülerinnen und Schüler anknüpft. Um den Aufbau einer vernetzten Wissensstruktur zu ermöglichen, sollten darüber hinaus Zusammenhänge mit anderen Inhalten aufgezeigt werden. Eine differenzierte Betrachtung der Inhalte auf fachlicher und/oder normativer Ebene ist ebenfalls anzustreben, kann bei einer Ersterklärung aber ausgeklammert werden, um die Schülerinnen und Schüler nicht zu überfordern.
Zum Hintergrund der Studie
Mit dem Ziel, ein geeignetes Tool für die Aus- und Weiterbildung von Wirtschaftspädagoginnen und -pädagogen bereitzustellen, hat Christiane Schopf, die Autorin dieses Beitrags, gemeinsam mit Andrea Zwischenbrugger – auf Basis einer Interviewstudie mit den Fachdidaktikerinnen und -didaktikern des Instituts für Wirtschaftspädagogik an der Wirtschaftsuniversität Wien – eine Heuristik zur Gestaltung von Lehrererklärungen im Wirtschaftsunterricht entwickelt. Diese wurde von der Autorin seither aus verschiedenen Perspektiven wissenschaftlich fundiert und weiterentwickelt. Auch wenn die Heuristik ursprünglich für den Wirtschaftsunterricht an Handelsakademien konzipiert wurde und die empirischen Befunde aus diesem Kontext stammen, zeigen theoretische Betrachtungen und ein Literaturreview, dass die Gestaltungsempfehlungen auch gut auf andere Schultypen und Fächer übertragbar sind. Die beschriebenen Qualitätskriterien dürften für die meisten Inhaltsbereiche Gültigkeit besitzen, wenngleich deren konkrete Umsetzung natürlich vom Inhalt, von der Zielgruppe und von den Rahmenbedingungen abhängig ist.
Eine Lehrererklärung sollte selbstverständlich fachlich richtig sein. Damit ist auch gemeint, dass auf Praxisrelevanz, Aktualität und eine präzise Ausdrucksweise geachtet wird. Gleichzeitig sollte sie auf die Zielgruppe abgestimmt sein, woraus sich häufig das Erfordernis der didaktischen Reduktion ergibt. Sie sollte vollständig sein, das heißt alle für das Verständnis notwendigen Aspekte abdecken, sich jedoch auf das Wesentliche konzentrieren. Zudem ist eine klare Strukturierung im Sinne eines schrittweisen, logischen Aufbaus wichtig. Schließlich sollte eine Erklärung auch sprachlich klar und einfach formuliert sein (einfache Wortwahl, einfacher Satzbau, Verwendung verbindender Wörter, Vermeidung von vagen Formulierungen und Abkürzungen).
Der Aufbau einer Lehrererklärung sollte drei Phasen umfassen und lässt sich wie folgt beschreiben. Am Beginn steht ein Einstieg, der die Schülerinnen und Schüler zum Zuhören motiviert, zum Beispiel indem die Relevanz der zu vermittelnden Inhalte anhand eines konkreten Beispiels aufgezeigt wird. Zudem sollten im Einstieg das relevante Vorwissen aktiviert beziehungsweise wiederholt und ein Überblick über die Inhalte der Erklärung gegeben werden, zum Beispiel mithilfe zentraler Fragen. Für den Hauptteil der Erklärung wird eine Beispiel-Regel-Struktur, das heißt eine induktive Vorgehensweise, empfohlen. Am Ende erfolgt eine Zusammenfassung des Wesentlichen. Spätestens dann sollte auch das Verständnis der Schülerinnen und Schüler, beispielsweise durch Rückfragen, überprüft werden, sodass die Erklärung im Bedarfsfall noch ergänzt oder adaptiert werden kann.
Welche Aspekte sind für Schülerinnen und Schüler besonders wichtig?
Um neben der Sichtweise von Fachdidaktikerinnen und -didaktikern auch die Sichtweise der Zielgruppe zu berücksichtigen, wurden Interviews mit insgesamt 55 Schülerinnen und Schülern des IV. Jahrgangs der Handelsakademie (Alter circa 18 Jahre) geführt und inhaltsanalytisch ausgewertet (vgl. Schopf, 2018; Schopf, 2023).
Die Gespräche untermauerten, dass gute Lehrererklärungen für Schülerinnen und Schüler große Bedeutung besitzen und dass ein enger Zusammenhang zwischen der Verständlichkeit und der Motivationswirkung einer Erklärung besteht. Viele sprachen sich zwar für die Arbeit mit dem Schulbuch aus, dieses sollte die Lehrererklärung aber nicht ersetzen.
„Schülerinnen und Schüler wünschen sich, dass sich die Lehrperson darum bemüht, das Verständnis sicherzustellen.“
Prof. Dr. Christiane Schopf
Das mit Abstand wichtigste Qualitätskriterium aus Sicht der Schülerinnen und Schüler stellen gute Beispiele im Sinne von Praxisbeispielen beziehungsweise Lehrbeispielen dar. Sehr wichtig ist für die Schülerinnen und Schüler auch, dass die Inhalte mithilfe verschiedener Medien (Tafel, Beamer etc.) visualisiert werden. Lehrererklärungen sollten aus Sicht der Schülerinnen und Schüler vor allem möglichst einfach, vollständig und strukturiert sein, sodass sie Schritt für Schritt gut nachvollzogen werden können.
Darüber hinaus wünschen sich die Schülerinnen und Schüler, dass sich die Lehrperson darum bemüht, das Verständnis sicherzustellen und bei Schwierigkeiten die Erklärung wiederholt beziehungsweise einen alternativen Erklärungsansatz anbietet.
Welche Bedeutung kommt allgemeinen Regeln und Beispielen zu?
Um herauszufinden, wie bedeutsam allgemeine Regeln und konkrete Beispiele in Lehrererklärungen für das Verständnis, die Motivation und den Lernerfolg sind, wurden zwei experimentelle Studien und eine Think-Aloud-Studie durchgeführt. Daran nahmen jeweils Schülerinnen und Schüler des II. Jahrgangs der Handelsakademie teil (Alter circa 16 Jahre). Im ersten Experiment wurden drei Erklärungsvarianten (konkretes Beispiel + allgemeine Regel, abstraktes Beispiel + allgemeine Regel, nur allgemeine Regel) in Textform einander gegenübergestellt (Stichprobe: 341 Schülerinnen und Schüler). Im zweiten Experiment wurden vier Erklärungsvarianten (konkretes Beispiel + allgemeine Regel, abstraktes Beispiel + allgemeine Regel, nur allgemeine Regel, nur konkretes Beispiel) in Videoform getestet (Stichprobe: 1.264 Schülerinnen und Schüler). Im Rahmen der Think-Aloud-Studie wurden drei Erklärungsvarianten (konkretes Beispiel + allgemeine Regel, nur allgemeine Regel, nur konkretes Beispiel) in Videoform miteinander verglichen (Stichprobe: 36 Schülerinnen und Schüler). Die einzelnen Schülerinnen und Schüler rezipierten jeweils eine der Varianten und wurden gebeten, die Erklärung zu bewerten und inhaltliche Fragen zu beantworten und Aufgaben zu lösen (vgl. Schopf, 2023a/b).
Die Tatsache, dass die Schülerinnen und Schüler die ihnen vorgelegten Erklärungen generell sehr positiv bewerteten, kann als Bestätigung für die in der Heuristik formulierten Gestaltungsempfehlungen erachtet werden. Aus den Vergleichen der verschiedenen Erklärungsvarianten zeigte sich erwartungsgemäß, dass eine Erklärung mit einem konkreten Beispiel als verständlicher und motivierender wahrgenommen wird und auch zu besseren Lernergebnissen führt als eine Erklärung ohne Beispiel. Ein abstraktes Beispiel (Zahlenbeispiel ohne konkreten Kontext) kann eine Erklärung ebenfalls verbessern, nicht jedoch, wenn es zu abstrakt formuliert ist. Subjektiv bevorzugen Schülerinnen und Schüler Erklärungen, die ausschließlich beispielorientiert sind. Präsentiert man Schülerinnen und Schülern eine Beispiel-Regel-Erklärung, fällt es ihnen leichter, das Erklärbeispiel wiederzugeben als die allgemeine Regel. Sie interpretieren die allgemeine Regel auf Basis des Erklärbeispiels und auch bei der Lösung analoger Aufgabenbeispiele orientieren sie sich primär am Erklärbeispiel.
„Nur wenigen Schülerinnen und Schülern gelingt der Transfer "Beispiel-Regel".“
Prof. Dr. Christiane Schopf
Problematisch ist, dass nur wenigen Schülerinnen und Schülern im Anschluss an eine Lehrererklärung auf Anhieb ein Transfer gelingt. So sind die meisten nicht in der Lage, eine allgemeine Regel in einem konkreten Aufgabenbeispiel anzuwenden oder aus einem konkreten Erklärbeispiel allgemeine Aussagen abzuleiten. Auch eine Erklärung, die ein konkretes Beispiel und die allgemeine Regel beinhaltet, führt meist noch nicht zu einem tiefergehenden Verständnis, das es ermöglicht, oberflächlich neuartige, aber eigentlich strukturell gleiche Aufgabenbeispiele zu bewältigen.
Vor dem Hintergrund der vorliegenden empirischen Befunde sowie kognitionstheoretischer Überlegungen ist anzunehmen, dass für den Erwerb von Schemata beziehungsweise mentalen Modellen, die in unterschiedlichen Kontexten anwendbar sind, sowohl Erläuterungen anhand konkreter Beispiele als auch die Formulierung allgemeiner Regeln hilfreich sind und dass eine Beispiel-Regel-Struktur (im Vergleich zu einer Regel-Beispiel-Struktur) zu bevorzugen ist, dass aber – auch bei wenig komplexen Inhalten – eine Lehrererklärung alleine nicht ausreicht. Die Schülerinnen und Schüler müssen ihr Wissen darüber hinaus durch die Bearbeitung von Aufgabenbeispielen festigen und elaborieren. Dabei ist es wichtig, dass die Aufgaben oberflächlich variantenreich gestaltet sind und die Schülerinnen und Schüler angeleitet werden, den Zusammenhang zwischen der allgemeinen Regel und den konkreten Aufgabenbeispielen zu analysieren.