„Wir sollten uns nicht durch die Stellungnahme des Karolinska-Instituts beirren lassen“

Bildungsforscher:innen und -praktiker:innen kritisieren
den von Skandinavien ausgehend geforderten
Digitalisierungsstopp im Bildungswesen

Seit das schwedische Karolinska-Institut im vergangenen Jahr darauf hingewiesen hat, dass sich die Nutzung digitaler Medien im Unterricht negativ auf den Wissenserwerb von Schüler:innen auswirken kann, werden auch in Deutschland Warnungen vor der Ausstattung von Schulen mit digitalen Endgeräten laut. Richtig eingesetzt können digitale Medien das Lernen und Verstehen jedoch unterstützen: Hier eine differenzierte Betrachtung der Forschungslage.

Betrachtet man die Debatte um die Digitalisierung der Schule, so scheint sich vor Kurzem der Wind gedreht zu haben: War lange Zeit davon die Rede, dass Deutschland zu langsam sei, so finden sich seit einigen Monaten immer mehr Stellungnahmen, die vor einem zu hohen Tempo warnen oder die Digitalisierung ganz stoppen wollen. Ein wesentlicher Katalysator dieser Debatte ist eine Stellungnahme des Karolinska-Instituts, das – so wird verschiedentlich suggeriert – eine Digitalisierung im Schulbereich in Bausch und Bogen verdammt hat. Die allgemeine Schlussfolgerung, dass wir es mit zu viel Digitalisierung in der Schule zu tun haben, ergibt sich jedoch aus einer undifferenzierten Betrachtung, der widersprochen werden muss. 

Worum es in der Stellungnahme geht

Am 28. April 2023 hat das schwedische Karolinska-Institut in einer Stellungnahme, die von renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Bereichen Neurowissenschaft, Neonatologie, Geriatrische Psychologie und Entwicklungspsychologie verfasst wurde, die nationale Digitalisierungsstrategie der schwedischen Bildungsbehörde für das Schulsystem 2023-2027 massiv kritisiert (Original Karolinska Institut, 2023; übersetzt auf Deutsch Die pädagogische Wende, 2023). Die schwedische Digitalisierungsstrategie sah unter anderem vor, Vorschulen verpflichtend mit digitalen Endgeräten (zum Beispiel Tablets) auszustatten. Die Einführung dieser digitalen Endgeräte ging auch damit einher, dass an manchen Schulen die traditionellen Schulbücher aus der Mode kamen. Hauptkritikpunkte der Stellungnahme sind zum einen das (angebliche) Fehlen von Evidenz für die positiven Auswirkungen der Digitalisierung auf das Lernen von Schülerinnen und Schülern und zum anderen die unzureichende Berücksichtigung negativer Auswirkungen auf den Wissenserwerb sowie die fehlenden konkreten Umsetzungsvorschläge für Schulen.

Das Karolinska-Institut

Das Karolinska-Institut in Schweden ist eine renommierte medizinische Universität, bekannt für ihre Forschung und Ausbildung in Medizin und Gesundheitswissenschaften. Besondere Bekanntheit erlangte das Karolinska-Institut durch die Verleihung des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin, den es seit 1901 jährlich vergibt.

Eine zentrale Aussage der Stellungnahme ist, dass die Forschung gezeigt hätte, dass die Digitalisierung der Schulen (gemeint ist damit die häufige Nutzung von digitalen Endgeräten im Unterricht) starke negative Wirkungen auf den Wissenserwerb der Schülerinnen und Schüler habe, vor allem auf deren Konzentration und Lernverhalten. Auch in Deutschland wurde diese Stellungnahme breit rezipiert, Maßnahmen für das deutsche Bildungssystem werden infolgedessen in der breiten Öffentlichkeit kontrovers diskutiert, in einigen Fällen verknüpft mit Warnungen vor der Ausstattung von Schulen mit digitalen Endgeräten.

Digitalisierungsstopp lässt sich wissenschaftlich nicht rechtfertigen

Von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verfasste Warnungen vor Fehlentwicklungen im Schulsystem, wie sie das Karolinska-Institut vorgelegt hat, sind grundsätzlich ein wichtiger Diskussionsanstoß. Sie verdienen eine kritische Beachtung, aber nicht automatisch Beifall. Die Stellungnahme des Karolinska-Instituts ist gekennzeichnet von starken Vereinfachungen, und die weithin undifferenzierte Rezeption in Deutschland hat ihren Teil dazu beigetragen, dass aus einem relativ simplizistischen Text eine breite Klage über die wahrgenommenen Gefahren der Digitalisierung entstanden ist, die teilweise sogar in die Forderung eines Stopps der Digitalisierung mündete. Kaum etwas davon ist wissenschaftlich gerechtfertigt. Was wir stattdessen benötigen, ist ein differenzierter, multiperspektivischer Umgang mit den Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken von Technologien im Bildungskontext. Neben der Nutzung digitaler Medien zur Unterstützung des Lehrens und Lernens etablierter Lernziele sind auch die gesellschaftlichen Digitalisierungsprozesse und die daraus entstehenden Veränderungen für die Bildung relevant. Eine entsprechende, ausgewogene Diskussion wird auch in Deutschland durch viele Akteurinnen und Akteure längst geführt. Dieser Beitrag soll diese Diskussion weiterführen.

Digitale Medien im Unterricht qualitativ hochwertig einsetzen

Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass für die Wirksamkeit eines Unterrichts weniger die Sichtstrukturen (zum Beispiel Methoden, Sozialformen, Medien), sondern vielmehr die Tiefenstrukturen bedeutsam sind (Klieme, 2019; Kunter & Trautwein, 2013). In anderen Worten: Man sollte nicht davon ausgehen, dass eine bestimmte Methode automatisch zu wirksamem Unterricht führt, sondern es geht immer darum, lernförderliche Bedingungen zu schaffen, um ein Unterrichtsziel – insbesondere fachspezifischen Kompetenzerwerb – zu erreichen. Zu den Tiefenstrukturen zählen eine gute Nutzung der Unterrichtszeit, eine kognitive Aktivierung der Lernenden und eine motivationale und verständnisorientierte Unterstützung jeder Schülerin und jedes Schülers. Übertragen auf Technologien bedeutet dies, dass es nicht primär das Ziel sein sollte, den Unterricht digital zu gestalten nur um der Technologie willen. Vielmehr sind Methoden, Medien und Technologien als Mittel zum Zweck zu betrachten (Sichtstruktur), die das Lernen und Verstehen von Lerngegenständen unterstützen (Tiefenstruktur). Dabei spielt beispielsweise auch die Förderung sozialer Interaktionen eine wesentliche Rolle. Austausch und Diskussion im Klassenzimmer sind unverzichtbare Elemente, die durch digitale Technologien ergänzt und gegebenenfalls sogar unterstützt, aber keinesfalls ersetzt werden sollten.

„Digitale Medien sind dort lernwirksam, wo spezifische Potenziale der Technologie ausgeschöpft werden.“

Erste Studien legen nahe, dass diese ursprünglich im analogen Unterricht identifizierten Unterrichtsqualitätsmerkmale auch beim Einsatz von digitaler Technologie im Unterricht bedeutsam sind (Fütterer et al., 2022). Insgesamt bedeutet dies zum einen, dass auch bei einem technologiegestützten Unterricht diese Qualitätsmerkmale eine zentrale Rolle spielen für den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler. Zum anderen bedeutet dies, dass Technologie dort lernwirksam im Unterricht integriert ist, wo spezifische Potenziale von Technologie ausgeschöpft werden, zum Beispiel zur Förderung eines adaptiven Unterrichts.

In einer solchen Betrachtung hat – wie wir im Folgenden argumentieren – weder eine radikale Ablehnung von Bildungstechnologie noch ihr unkritischer Einsatz einen Platz, und bisherige empirische Befunde können besser eingeordnet werden.

Qualität vor Quantität gilt auch beim Lernen mit digitalen Medien

Weltweit hat der Einsatz von Technologie im Bildungskontext (befeuert durch die COVID-19 Pandemie und die mit ihr einhergehenden Schulschließungen) einen enormen Aufschwung erfahren. In Deutschland wird nach dem ersten (Scheiter & Lachner, 2019) nun auch der zweite (Deutscher Bundestag, 2023) Digitalpakt beraten, um Schulen mit einer digitalen Infrastruktur auszustatten. Die Schaffung einer soliden digitalen Infrastruktur ist plausibel, weil sie eine notwendige Voraussetzung für die Nutzung von Technologien im Bildungsbereich ist.

Die Implementation von Technologien im Bildungskontext und insbesondere in den Schulen ist aus Sicht der Lern- und Bildungsforschung erstrebenswert, weil erst im Anschluss ein Lernen mit und über Technologie stattfinden und optimiert werden kann (Hoch & Fütterer, 2023). Lernen mit Technologie bedeutet, dass Technologie genutzt wird, um Inhalte zu lernen und Kompetenzen zu erwerben. Lernen mit Technologie sollte dabei so gestaltet sein, dass die Technologie es ermöglicht, Fachinhalte und Kompetenzen besser, schneller oder passender zu individuellen Unterschieden der Schülerinnen und Schüler zu erwerben. Dazu bieten digitale Technologien nachweislich verschiedene Potenziale. Zum Beispiel bieten sie das Potenzial unterschiedlicher Darstellungsformen (wie Animationen oder 3D-Visualisierungen), dienen der effizienten Erfassung von Kompetenzen und Kompetenzzuwachs, fördern die Kooperation unter den Lernenden durch den Einsatz gemeinsamer Repräsentationen, die von den Lernenden ko-konstruiert werden können (Suthers, 2006), oder stellen optimale Unterstützung für jeden Lernenden durch adaptive Lerntechnologien bereit (Aleven et al., 2017; Meurers et al., 2018; für einen Überblick über die Potenziale von Technologie für das Lernen siehe Scheiter, 2021). Lernen über Technologie meint, dass Lernende Medienkompetenz aufbauen (also beispielsweise Grundzüge von künstlicher Intelligenz und Algorithmen verstehen, digitale Informationsangebote bewerten oder wissen, wie Filterblasen und Echokammern funktionieren) und digital souverän werden. Zentral ist dabei, dass Lernen mit und über Medien ein wichtiges Element ist, um Schülerinnen und Schüler auf ihre Zukunft in einer digitalen Gesellschaft vorzubereiten. Bildung zielt darauf ab, Menschen zu kritisch reflektierenden Bürgerinnen und Bürgern zu befähigen, die aktiv an der Gesellschaft teilhaben können – einer Gesellschaft im Übrigen, deren Diskurse längst von digitalen Medien geprägt werden.

Was folgt daraus? Nötig ist eine sorgfältige Auswahl und Anwendung von Technologien, je nach dem klar definierten Zweck ihres Einsatzes im Bildungssektor – was auch bedeuten kann und muss, dass man in bestimmten Lernphasen und Lernszenarien komplett auf digitale Medien verzichtet. Um solche Entscheidungen treffen zu können, müssen Lehrkräfte über medienbezogene Lehrkompetenzen verfügen.

Das ist die Forschungslage

Die Stellungnahme des Karolinska-Instituts nimmt eine Schwarz-Weiß-Sicht im Hinblick auf die Nutzung von Bildungstechnologien ein, was sich auch bei ihrer Rezeption der vorliegenden empirischen Beiträge zeigt. Wie wir im Folgenden illustrieren, haben die Autorinnen und Autoren die Befundlage selektiv gelesen beziehungsweise über die vorliegenden Studien tendenziös berichtet. Betrachten wir exemplarisch die Befundlage zum (1) Lesen und (2) forschungsbasierten Unterrichten.

(1) Zunächst einmal ist es nicht komplett falsch, was in der Karolinska-Stellungnahme zum Lesen am Bildschirm berichtet wird: Die Ergebnisse zahlreicher Metaanalysen legen nahe, dass das Lesen auf dem Bildschirm im Vergleich zum Lesen auf dem Papier im Durchschnitt mit schlechteren Leseleistungen (z.B. Leseverständnis) einhergeht (Clinton, 2019, Delgado et al. 2018 und Salmerón et al., 2024). Allerdings: Die Ergebnisse solcher Studien müssen im Detail analysiert werden, denn erklärende Variablen wie die Textart oder die Verarbeitungstiefe der Lernenden sind bedeutsam. Zudem repräsentiert ein Unterricht, in welchem das Lesen von Texten anstelle der Nutzung von Büchern nun mit Hilfe von Tablets erfolgt, nicht die Art der Technologieintegration, die als sinnvoll erachtet werden kann. Eine solche Nutzung von Technologie stellt eine reine Substitution dar, schöpft die Potenziale von Technologie für Lernprozesse jedoch nicht aus (zum Beispiel durch eine stärkere Kollaboration) und geht gegebenenfalls sogar mit negativen Lernergebnissen einher.

(2) Die Stellungnahme scheint davon auszugehen, dass die Integration von Technologie in den Unterricht dadurch gekennzeichnet ist, dass sich Lernende „ihre eigenen Informationen über digitale Quellen suchen” und „diese Suche nach Wissen [...] viel Zeit in Anspruch (nimmt), Zeit, die vom Lernen des Stoffes abgezogen [wird]”. Doch das ist gerade nicht die Art der Nutzung digitaler Technologie, die nach den Befunden der Lernforschung sinnvoll ist. Natürlich sind Grundschulkinder überfordert, wenn sie allein gelassen werden und relevante Informationen selbst suchen müssen. Dann wären bei einem Großteil der Schülerinnen und Schüler in der Tat eher negative Lernergebnisse zu erwarten. Gute Bildungsmedien zeichnen sich durch gute Instruktion aus: Sie leiten Kinder zum Lernen an, erklären Inhalte, ermöglichen Übungen, stellen Fragen, geben Feedback, aktivieren Kinder zum Nachdenken und Kooperieren. Mit solchen Medien lassen sich bessere Ergebnisse erzielen als ohne Medien - auch in der Grundschule. Das zeigt unter anderem eine Metastudie über 122 wissenschaftliche Studien (Chauhan, 2017).

„Es ist die Qualität und nicht die Quantität der Nutzung von Technologie im Unterricht, die bedeutsam für erfolgreiche Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern ist.“

Zudem sollten mindestens folgende Aspekte mitbedacht werden, die in der bisherigen Diskussion zu wenig explizit gemacht werden:

  • Problematisch ist, dass in der aktuellen Diskussion um die Integration von Technologie im Unterricht immer wieder kausale Zusammenhänge hergestellt werden, die man nicht herstellen kann. Empirische Befunde aus internationalen Vergleichsstudien wie PISA oder IGLU-Ergebnisse und Befunde aus Studien zur Wirksamkeit von Technologie auf Lernleistungen dürfen nicht leichtsinnig und fälschlicherweise miteinander vermengt werden. So wäre es beispielsweise fatal, PISA-Ergebnisse als Konsequenz der Integration von Technologie im Unterricht zu interpretieren.
  • Die Wirksamkeit von Technologie auf das Lernen von Schülerinnen und Schülern sollte nicht unbedacht interpretiert werden. Man stelle sich vor, einem Kind wird ein Buch zum Klimawandel geschenkt. Welchen Effekt auf das Lernen des Kindes zum Klimawandel erhofft man sich, wenn das Kind das Buch ins Regal stellt und nie hineinschaut? Keinen! Welchen Effekt auf das Lernen des Kindes hat das Buch, wenn das Kind es alleine liest? Welchen Effekt hat das Buch auf das Lernen des Kindes, wenn es das Buch mit in die Schule nimmt und durch eine Lehrkraft systematisch im Unterricht (z.B. mit kognitiv aktivierenden Aufgaben) eingebunden wird? Welchen Effekt hat die Qualität des Buches (zum Beispiel die Passung des Schwierigkeitsgrades zur Sprachkompetenz und dem Wissensstand des Kindes, oder der Aufwand, der in die didaktische Gestaltung von Texten und Bebilderung investiert wurde) auf die Motivation des Kindes, sich überhaupt mit dem Buch auseinanderzusetzen und auf das inhaltliche Verständnis, das aus dieser Auseinandersetzung resultiert? Es wird deutlich, dass das Medium oder grundsätzlich Technologien wie digitale Endgeräte oder Softwareanwendungen an sich keinen Effekt auf das Lernen haben, weder positiv noch negativ.
  • Zur erfolgreichen Implementation von digitalen Medien in Schulen sollten Perspektiven unterschiedlicher Disziplinen zusammengeführt werden (zum Beispiel pädagogische Psychologie, Psychologie, Fachdidaktik, Bildungsforschung, Erziehungswissenschaft, Praxis wie Lehrkräfte, Eltern und Bildungsadministration).

Die Wirkzusammenhänge sind deutlich komplexer, als es die Karolinska-Stellungnahme suggeriert. In mehreren Metastudien zeigten sich im Mittel zwar positive Effekte von Technologie auf Lernergebnisse von Schülerinnen und Schülern (Hattie, 2009; Tamim, et al., 2011 und Zheng et al., 2016). Diese Effekte hängen unter anderem von den oben genannten Rahmenbedingungen wie beispielsweise der Qualität von Unterricht ab. Aber natürlich nicht nur: Zum Beispiel untersuchten Hillmayr et al. (2020) den Effekt des Lernens mit Hardware (Tablets, Computer) auf das Lernen von Schülerinnen und Schülern in Mathematik und Naturwissenschaften und fanden dabei einen positiven Effekt, jedoch auch, dass die Effektgrößen erheblich größer waren, wenn die Lehrkräfte in der Technologie geschult waren. Die Effekte sind also durch die Gestaltung, Nutzung und Implementation durch Lernende und Lehrende zu erklären und dabei bedingt durch unterschiedliche Faktoren wie die Kompetenzen der Lernenden, die Kompetenzen der Lehrenden, die Art und Qualität der Hardware und Software oder auch die Unterrichtsqualität.

Zusammenfassend kann man es auf die gegebenenfalls banal klingende Formel bringen, die wir oben bereits skizziert haben: Es ist die Qualität und nicht die Quantität der Nutzung von Technologie im Unterricht, die bedeutsam für erfolgreiche Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern ist.

Was folgt: Let’s use the best of both worlds

Es liegt auf der Hand, dass eine Schwarz-Weiß-Sicht unzureichend ist. Weder eine komplette Verbannung aller digitalen Medien noch eine vollständige Digitalisierung und gleichzeitige Verbannung aller analogen Medien wie Bücher, Hefte etc. scheinen sinnvolle Wege zu sein, um drängende, konkrete Herausforderungen im Bildungssystem – wie die substanzielle Heterogenität der Schülerinnen und Schüler – zu meistern (Meurers, 2024). Das bedeutet, ein ausschließlich auf Tablets oder andere digitale Endgeräte ausgerichteter Unterricht ist ebenso wenig zielführend wie ein prinzipieller Verzicht auf solche Hilfsmittel im Unterricht.
Wir sind in der Diskussion über Fragen zur Ausstattung mit Technologie hinaus und sollten nun nicht wieder zwei Schritte zurückgehen. Anders ausgedrückt: Es geht nicht um das OB, sondern das WIE gelingender digitaler Transformation an Schulen. Der Schlüssel liegt in der ausgewogenen Integration von Technologie (Scheiter, 2021), die das Lernen bereichert, ohne die Entwicklung wichtiger sozialer und kritischer Denkfähigkeiten zu vernachlässigen. Es wird auf ein gesundes Maß und eine kluge Orchestrierung von analogen und digitalen Technologien ankommen, um alle Lernenden optimal in ihren Potenzialen zu fördern (Stichwort: Adaptiver Unterricht). “Let’s use the best of both worlds“ könnte ein hilfreiches Leitmotto sein.
Wir alle in der Gesellschaft sollten uns daher nicht durch Stellungnahmen wie die der Karolinska beirren lassen und potenzielle Kurzschlüsse und fehlgeleitete Reaktionen vermeiden. Auf zwei potenzielle Kurzschlüsse möchten wir hinweisen:

  1. Maßnahmen aus anderen Ländern dürfen für Deutschland nicht blind übernommen werden!
    Skandinavien wurde und wird häufig als Vorbild für unser Bildungssystem verhandelt. In diesem Fall muss sorgfältig geprüft werden, was in anderen Ländern (in diesem Fall Schweden) unter "Digitalisierung" verstanden wird. Im Fall von Schweden waren es Bestrebungen, Unterricht vollständig digitalisiert ohne systematische Überlegungen zur sinnvollen Orchestrierung anzustellen. Wir sind besser beraten, andere Länder nicht unreflektiert nachzuahmen, sondern bei Entscheidungen Evidenz umfänglich zu berücksichtigen, um abgewogene und kluge Urteile zur Digitalisierungsstrategie zu fällen.
     
  2. Maßnahmen und Projekte müssen auf Evidenz und ihr Potenzial kritisch geprüft werden!
    Wenn Ideologie Vorrang vor empirischer Evidenz erhält und sogar meinungsführend (insbesondere durch Influencer in sozialen Medien) wird, dann besteht die ernsthafte Gefahr, dass bisherige Erfolge des Fortschritts im Bereich der Digitalisierung verpuffen und zukünftig Investitionen im Bildungsbereich – sei es durch staatliche Geldgeber wie das BMBF oder durch private Geldgeber wie Stiftungen – fehlinvestiert werden. Konkret sollten Investitionen zum Ziel einer Verbesserung der Bildung auf Basis wissenschaftlicher Evidenz getätigt werden. Begrüßenswert wären Investitionen in Projekte, die von Evidenz getragen sind, wie zum Beispiel Erkenntnisse zum wirksamen Unterricht (Stichwort: Tiefenstrukturen) und Projekte, die ernsthaft das Potenzial haben, akute Herausforderungen im Bildungssystem zu meistern und hilfreich für das Lernen der Schülerinnen und Schüler sind. Es ist wissenschaftlich nicht haltbar zu behaupten, die Einbindung digitaler Technologien in den Unterricht habe keine oder überwiegend negative Effekte. Vielmehr zeichnet sich ein Konsens ab, dass es substanzielle positive Effekte von digitalen Technologien für das Lernen von Schülerinnen und Schülern unter bestimmten Einsatzbedingungen gibt (zum Beispiel zur Unterstützung kollaborativen Lernens). Hier ist jedoch noch viel Forschung nötig, unter anderem zur Frage, unter welchen Bedingungen Methoden der künstlichen Intelligenz nachhaltig lernförderlich für Schülerinnen und Schüler eingesetzt werden können. Zu diesem Konsens gehört auch die hohe Bedeutung der medienbezogenen Kompetenzen von Lehrkräften, damit digitale Technologien lernförderlich im Unterricht und für das selbstregulierte Lernen eingesetzt werden.