Adaptiver Unterricht: Wie er funktioniert und was digitale Medien leisten können
Im Gastbeitrag geben Dr. Leonie Sibley und Prof. Dr. Andreas Lachner praxistaugliche Beispiele für einen digital gestützten adaptiven Unterricht.
Schülerinnen und Schüler kommen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Interessen und Fähigkeiten in die Schule. Um ihren Lernerfolg zu unterstützen, sollten Lernende bestmöglich gefördert werden. Doch wie können Lehrkräfte allen durchschnittlich 23 Schülerinnen und Schülern einer Klasse gerecht werden? Das Schlüsselwort lautet: adaptiver Unterricht. Digitale Medien können Lehrkräfte dabei entlasten.
Warum adaptiver Unterricht sinnvoll ist
Schülerinnen und Schüler kommen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen in die Schule. Während die eine Schülerin zuhause bilingual mit Englisch aufwächst, fällt der anderen Schülerin die Aussprache im Englischunterricht schwer. Für Lehrkräfte ist der Umgang mit den unterschiedlichen Ausgangslagen ihrer Schülerinnen und Schüler häufig mit Herausforderungen verbunden. Denn derselbe Unterricht mit den gleichen Materialien und Lernaufgaben ist nicht für die gesamte Klasse gleich gut geeignet. Um Schülerinnen und Schüler dennoch gezielt und individuell zu unterstützen, eignet sich adaptiver Unterricht. Ein adaptiv gestalteter Unterricht passt sich den unterschiedlichen Ausgangslagen und Lernerfolgen der Schülerinnen und Schüler an und ermöglicht es, sie in ihrem eigenen Lernprozess bestmöglich zu unterstützen.
Die drei Komponenten adaptiven Unterrichts
Adaptiv gestalteter Unterricht basiert hauptsächlich auf drei Komponenten:
- Formative Diagnosen: Eine formative Diagnose stellt eine Art Abfrage oder Test dar, welche den aktuellen Wissensstand der Schülerinnen und Schüler erfasst, zum Beispiel ihr aktuelles Vorwissen zu einem Thema. Die Abfrage kann sowohl durch die Lehrkraft als auch durch Selbst- oder Peer-Einschätzungen erfolgen. Die formative Diagnose bildet das Kernstück des adaptiven Unterrichts, da die Voraussetzungen regelmäßig überprüft und aktualisiert werden müssen.
- Adaption auf Makroebene: Basierend auf den Ergebnissen der formativen Diagnose können Schülerinnen und Schüler gezielt in homogene oder heterogene Gruppen eingeteilt werden. Materialien und Lernmethoden werden gezielt an die Voraussetzungen und Bedarfe der einzelnen Gruppen angepasst.
- Adaption auf Mikroebene: Während der Lernphase in den unterschiedlichen Gruppen sollte die Lehrkraft erneut diagnostizieren, wie gut die Schülerinnen und Schüler zurechtkommen und wo sie Hilfe benötigen. Dadurch kann die Lehrkraft den einzelnen Gruppen oder einzelnen Lernenden bei Bedarf unmittelbar zusätzliche Hilfestellungen oder Materialien anbieten.
Warum adaptiver Unterricht nicht individualisiertes Unterrichten bedeutet
Adaptiver Unterricht zielt zwar auf die individuelle Förderung aller Lernenden ab, stellt jedoch keinen individualisierten Unterricht dar. Beide Lernkonzepte arbeiten zwar zunächst mit einer formativen Diagnose, um den Wissensstand der Schülerinnen und Schüler festzustellen. Beim individualisierten Unterricht arbeitet jedoch anschließend jede Schülerin und jeder Schüler eigenständig mit Materialien und Aufgaben, die an ihr oder sein Niveau angepasst sind. Die Lernenden arbeiten individuell in ihrem eigenen Tempo über eine längere Zeit und können sich dadurch sehr unterschiedlich entwickeln. Im Gegensatz dazu zielt adaptiver Unterricht auf einen gemeinsamen Diskurs innerhalb der Klasse ab. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten in parallelen Lernphasen, deren Ergebnisse anschließend zusammengetragen werden. Schülerinnen und Schüler müssen daher nicht zwangsläufig individuell lernen, sondern können auch kollaborativ in homogenen oder heterogenen Gruppen arbeiten, die sich an ihren jeweiligen Bedarfen orientieren.
Zwischenfazit: Adaptiv gestalteter Unterricht bietet gegenüber individualisiertem Unterricht den Vorteil, adaptiv an die Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler angepasst zu sein und dennoch die gleichen Lernziele und Thematiken – wenn auch auf unterschiedlichen Ebenen – zur gleichen Zeit und mit der gesamten Klasse zu behandeln. Im adaptiven Unterricht arbeiten somit nicht jede Schülerin und jeder Schüler für sich, sondern lernen auch gemeinsam, um von ihren jeweiligen Stärken und Schwächen zu profitieren.
Digitale Medien entlasten Lehrkräfte bei formativen Diagnosen
Um die aktuellen Kenntnisse der Schülerinnen und Schüler regelmäßig abzufragen, bieten digitale Medien schnelle und hilfreiche Lösungen. Online-Tools, wie minnit oder Mentimeter, können mit wenigen Fragen den aktuellen Lernstand der Schülerinnen und Schüler ermitteln. Dafür legen Lehrkräfte innerhalb des Online-Tools Fragen an, die sie überprüfen möchten – zum Beispiel Kenntnisse, die die Schülerinnen und Schüler für die anschließende Unterrichtsstunde benötigen. In den Antwortmöglichkeiten empfiehlt es sich, gängige Fehlkonzepte der Schülerinnen und Schüler aufzulisten, um das Wissen der Lernenden gezielt zu überprüfen. Die richtigen Antworten werden bei der Erstellung des Quiz zudem hinterlegt, sodass das Tool den Schülerinnen und Schülern unmittelbar anzeigt, ob ihre gewählte Antwort richtig oder falsch ist.
Auf diese Weise erhalten Lehrkräfte einen schnellen und unkomplizierten Überblick über die Kenntnisse ihrer Schülerinnen und Schüler. Dies erleichtert nicht nur die anschließende Einteilung in unterschiedliche Niveaugruppen, sondern trägt auch dazu bei, fehlerhaftes Wissen direkt zu adressieren. Neben der Lehrkraft profitieren auch die Schülerinnen und Schüler selbst von formativen Testverfahren. Statt im Rahmen einer Klassenarbeit Rückmeldung über ihre Leistung zu erhalten, wenn eine Lerneinheit bereits abgeschlossen ist, können formative Assessments den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler bedarfsgerecht unterstützen. Die Kenntnis über den eigenen Wissensstand gilt in der Forschung zudem als elementar für erfolgreiches Lernen.
Tipp: Formative Diagnosen eignen sich sehr gut zu Beginn einer Stunde als kognitive Vorwissensaktivierung.
Digitale Medien erleichtern eine bedarfsgerechte Unterrichtskonzeption
Digitale Medien unterstützen Lehrkräfte effektiv dabei, Materialien auf einer Makroebene zu organisieren und an die Leistung ihrer Schülerinnen und Schüler anzupassen. Geeignet sind dabei vor allem bereits vorhandene und vertraute Systeme wie die eigene Schulplattform. Auf diesen können Materialien und Instruktionen für zwei oder drei verschiedene Niveaustufen geplant und angelegt werden. Schülerinnen und Schüler mit geringerem Vorwissen sollten sich dabei zunächst grundlegendes Wissen aneignen beziehungsweise dieses wiederholen, während für Schülerinnen und Schülern mit höherem Vorwissen bereits Transferaufgaben integriert werden können. Auch die Instruktionen können bedarfsgerecht angepasst werden. Die Forschung zeigt, dass sich für Schülerinnen und Schüler mit geringem Vorwissen insbesondere das Modellernen oder Lernen aus Lösungsbeispielen eignet. Hierbei werden den Lernenden die Lösungswege schrittweise aufgezeigt, was sich gut mit Erklärvideos wie zum Beispiel Simpleshow umsetzen lässt. Außerdem benötigen diese Schülerinnen und Schüler mehr Input und zusätzliche Hilfestellungen. Für Schülerinnen und Schüler mit höherem Vorwissen ist hingegen das problemlöseorientierte Lernen effektiver, bei dem sie eine selbstständige Lösung für ein dargestelltes Problem erarbeiten.
Bei der Aufteilung in Gruppen ist zu beachten, dass Schülerinnen und Schüler nicht zwangsläufig in homogenen Gruppen arbeiten müssen. Schülerinnen und Schüler profitieren durchaus auch von ihrer Heterogenität. Lernende mit geringeren Vorkenntnissen können beispielsweise Lernenden mit höherem Vorwissen Sachinhalte oder gelernte Prozesse erklären. Dadurch testen sie ihr eigenes Wissen. Die leistungsstärkeren Kinder und Jugendlichen können den leistungsschwächeren durch Rückfragen und Beispiele helfen, Wissenslücken zu schließen. Auf einer gemeinsamen Plattform wie TaskCards lassen sich Erkenntnisse zudem gemeinsam sammeln, bearbeiten und anschließend besprechen und speichern.
Digitale Medien geben individuelles Feedback an Lernende weiter
Auch die Adaptionen auf Mikroebene lassen sich durch digitale Medien erleichtern, indem Lernende automatisches und individuelles Feedback während einer Aufgabenbearbeitung erhalten. Lehrkräfte können hierfür auf unterschiedliche Online-Tools zurückgreifen und spezifische Rückmeldungen bei bestimmten Antworten integrieren. Ein Beispiel anhand des Tools LearningApps soll dies verdeutlichen: Wenn sich eine Lehrkraft eine Fragestellung mit einer richtigen und mehreren falschen Antwortmöglichkeiten überlegt, kann sie zu jeder falschen Antwort eine passende Rückmeldung einfügen, die den Schülerinnen und Schülern beim Anklicken dieser Antwort angezeigt wird. So erhalten die Schülerinnen und Schüler unmittelbar beim Bearbeiten der Aufgaben gezieltes Feedback zu ihren fehlerhaften Vorstellungen.
Mittlerweile gibt es für automatisches Feedback auch im Fachunterricht unzählige Tools, wie beispielsweise MatheBattle für Mathematik, Quizlet für Englisch und auch personalisierte Rückmeldungen und Hilfestellungen, die mittels künstlicher Intelligenz arbeiten, wie beispielsweise das intelligente Tutor-System DiDi.
Digitale Medien können das adaptive Unterrichten somit in allen drei für dieses Lernkonzept wichtigen Bereichen erleichtern und Lehrkräfte effektiv dabei unterstützen, auf die individuellen Ausgangsniveaus ihrer Schülerinnen und Schüler einzugehen und diese bedarfsgerecht zu fördern.