Wie wir lernen, mit KI-Tools zu arbeiten
– ChatGPT und Co. im Unterricht

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission hat ein Impulspapier zur Implementation und Nutzung von künstlicher Intelligenz in der Schule vorgelegt. Prof. Ulrike Cress fasst in ihrem Gastbeitrag die wichtigsten Punkte zusammen.

Mit der Veröffentlichung von ChatGPT vor circa einem Jahr ist eine sprachbasierte künstliche Intelligenz (KI), die fertige Texte produziert, für jeden und jede nutzbar. Erste Daten zeigen, dass sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte ChatGPT verwenden. Mit ChatGPT ist KI schlagartig in der Schulrealität angekommen und in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt – und das ist gut so, denn KI wird Teil unserer Gesellschaft sein und sie erfordert, dass das Bildungssystem sich darauf vorbereitet. Deswegen hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) entschieden, ein Impulspapier zum Thema „Large Language Models und ihre Potenziale im Bildungssystem“ zu veröffentlichen.

ChatGPT und ähnliche Programme sind ein Beispiel für Large Language Models (LLM). Diese basieren auf einem Algorithmus, der im durch KI erzeugten Text jeweils das nächste wahrscheinliche Wort vorhersagt – LLMs verfügen also nicht über Weltwissen, validieren Informationen nicht und sind nur so gut wie die Daten, mit denen sie gefüttert wurden. Die resultierenden Texte klingen plausibel und menschengemacht, können aber Fehler, inkonsistente Aussagen, systematische Desinformation oder erfundene Quellen enthalten. Gerade die Tatsache, dass LLMs fertige Texte ohne Rückbezüge auf Quellen ausspucken, macht es schwer, die Informationen zu bewerten und einzuordnen.

Eine mindestens ebenso große Gefahr für die Bildung liegt allerdings darin, dass Schreibprozesse ausgelagert werden. Der Erwerb von Schreibkompetenzen ist in einer Welt, in der Informationen nach wie vor großteils schriftlich zugänglich sind, zentrales Element der Schulbildung. Darüber hinaus zeigt die Forschung aber auch, dass Schreiben ein Prozess ist, der in hohem Maße Verstehen und Wissenserwerb fördert. LLMs dürfen weder verhindern, dass Schülerinnen und Schüler gutes Schreiben erlernen, noch dass sie Denken und Verstehen durch Schreiben vertiefen. 

Andererseits sind ChatGPT und Co. nicht zufällig auf Anhieb so beliebt geworden: LLMs können Schülerinnen und Schülern das Leben bei der Texterstellung leichter machen, indem sie Zugriff auf eine riesige Menge an Textdaten ermöglichen und diese Informationen in eine schriftlich kohärente Struktur bringen. Auch Feedback auf bestehende Texte, seien es Rechtschreibung, Stil oder Gliederung, können LLMs leisten. Zudem können LLMs Lehrkräften den Alltag erleichtern, indem sie unterschiedliches Lernmaterial (etwa zur Binnendifferenzierung) erstellen, Feedback geben oder bei der Bewertung von Texten unterstützen.

Was muss man können, um von LLMs zu profitieren?

Um das lernförderliche Potenzial von ChatGPT und Co. zu nutzen, braucht es informierte Nutzerinnen und Nutzer, die über die Stärken und Schwächen des Tools Bescheid wissen und mit ihm über geeignete Prompts kommunizieren können. Bei der Interaktion mit LLMs müssen sie Informationen bewerten, auswählen, reflektieren und überprüfen. Lernende müssen also nicht nur Medienkompetenz mitbringen, sondern auch inhaltliches Vorwissen, das eine kritische Reflexion und Validierung der Inhalte erlaubt.

Diese Voraussetzungen verdeutlichen die Gefahr, dass vor allem leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler von der Nutzung der Technologie profitieren. Allerdings bieten LLMs auch Möglichkeiten zur Inklusion von schwächeren Schülerinnen und Schülern (zum Beispiel über Binnendifferenzierung oder Feedbackfunktionen) oder zur Überwindung von Sprachbarrieren (zum Beispiel durch Tools, die Texte in Fremdsprachen übersetzen). Klar ist dabei, dass die nötigen Kompetenzen zur lernwirksamen und inklusiven Nutzung von LLMs in der Bildung nicht vom Himmel fallen, sondern gezielt gefördert werden müssen. Aus Sicht der SWK ist dazu die zügige Fortbildung der Lehrkräfte dringend notwendig, damit diese ChatGPT und Co. bei der Texterstellung, der Anpassung ihres Unterrichtsmaterials und der Bewertung sinnvoll einsetzen können. Lehrkräfte müssen in der Lage sein, den sinnvollen Einsatz von KI in der Schule vorzuleben und den Schülerinnen und Schülern die nötige Medienkompetenz zu vermitteln.

Systematische Nutzung je nach Bildungsstufe

Eine Verbannung von KI aus der Bildung hält die SWK weder für realistisch noch für sinnvoll, sie empfiehlt stattdessen eine an die jeweilige Bildungsstufe angepasste Einbindung. Für die SWK ist es zentral, dass vorerst in Grundschulen und zum Anfang der Sekundarstufe I Schreibkompetenzen ohne Hilfsmittel aufgebaut werden. Während der Sekundarstufe I empfiehlt die SWK einen eng begleiteten Einsatz von KI, bei der Lernende die Kompetenzen aufbauen, die sie für die sinnvolle Nutzung der Tools und für die Reflektion ihres Outputs brauchen. Ab der Sekundarstufe II empfiehlt die SWK den systematischen lernzieldienlichen Einsatz von ChatGPT und Co.

Wenn ChatGPT die Hausarbeiten verfasst, dann ist eine schnelle Anpassung der Prüfungskultur nötig: Lehrkräfte müssen sicherstellen können, dass das Wissen nicht nur auf dem Papier, sondern auch in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler landet. Die SWK hält deshalb einen stärkeren Einsatz von prozessorientierten Formaten in der Leistungsbewertung für notwendig. Prüfungen mit und ohne Hilfsmittel sollten sich ergänzen. Der medienkompetente Umgang mit KI-basierten Tools sollte aber auch explizit Gegenstand der Leistungsbewertung in den höheren Jahrgängen werden. Bei der Bewertung von Leistungen kann die KI Lehrkräfte entlasten, aber die Ergebnisse müssen immer final durch Lehrkräfte überprüft werden.

Was muss sich im Bildungssystem bewegen?

Rechtliche (wie zum Beispiel Urheberrecht und Datenschutz) und ethische Grauzonen (wie etwa die Verstärkung von Gender-Biases) bei der Nutzung von KI-Tools sollten zügig durch die Politik geklärt werden. Außerdem sollte politisch sichergestellt werden, dass alle gleichermaßen Zugang zu bildungsrelevanten Tools haben. Aus Sicht der SWK ist es zentral, Tools, die in der Bildung eingesetzt werden, vor kommerziellen Interessen und Monopolen zu schützen: Die SWK empfiehlt deshalb die Integration von LLMs in bereits bestehende Lernplattformen und die Entwicklung von CC-Alternativen für kommerzielle Angebote. Um die Qualitätssicherung langfristig zu gewährleisten, ist es aus Sicht der SWK sinnvoll, fachspezifische Tools zu entwickeln und dabei Befunde aus der Lehr-Lernforschung, etwa zu Feedback oder zur Adaptivität, zu nutzen.

Aufgrund der rasanten technischen Entwicklung gibt es noch keine Langzeitstudien darüber, wie sich ChatGPT und Co. auswirken. Aber die Tools sind da und werden zweifelsohne bereits genutzt. Aus Sicht der SWK besteht die Notwendigkeit, in einer Übergangsphase in enger Zusammenarbeit von Forschung und Praxis systematisch zu erproben und zu erforschen, wie LLMs Lernprozesse beeinflussen und verändern. Vor allem die Fachdidaktiken sind in Kooperation mit den Landesinstituten gefragt, zügig den didaktisch treffsicheren Einsatz von KI-basierten Tools in ihren Fächern auszuloten und systematisch Lehr-Lernkonzepte zu erarbeiten, um Lehrkräfte für den gezielten Einsatz im Unterricht fit zu machen. 

Was bedeutet das für die Lehrkräfte heute?

Bis zu einer Fortbildung können aber Wochen vergehen. Viele Lehrkräfte fragen sich aktuell, wie sie mit der Situation umgehen sollen, dass gängige Leistungsnachweise, wie etwa schriftliche Ausarbeitungen, obsolet werden, wenn nicht mehr nachvollziehbar ist, wie viel KI in dem Endprodukt steckt und wie viel im Kopf der Lernenden hängen geblieben ist. In der Erprobungsphase ist es wichtig, dass Lehrkräfte ChatGPT für sich selbst in ihrem Fach ausprobieren: mit fachlichen Fragen spielen, probeweise unterschiedliches Material für verschiedene Leistungsstärken erstellen, Texte generieren oder Inhalte bewerten. Sinnvoll ist es auch, in der Sekundarstufe II als Abschluss eines Themas gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern auf der Basis ihres Vorwissens zu testen, was die KI leisten und nicht leisten kann. Für eine Veränderung der Fachkulturen hat die SWK bereits in ihrem Gutachten zur Digitalisierung dazu geraten, die kollegiale Zusammenarbeit zu stärken: Teams aus Fachlehrerinnen und Fachlehrern können sich heute schon zusammentun, neue Konzepte ausprobieren und Erfahrungen austauschen. Dafür müssen Lehrkräften die nötigen Zeiten eingeräumt werden. 

Bildungsziele bleiben gleich – der Weg zum Ziel verändert sich

ChatGPT und Co. sind in der Bildungswelt angekommen, aber sie sind nicht per se lernförderlich oder lernhinderlich. So wie die Einführung von Taschenrechner, Computer und Wikipedia nicht alle Lernziele umgekrempelt hat, muss Schule sich das KI-Tool im Sinne der Lernziele zunutze machen. Aus der Bildungsforschung wissen wir, dass Medien lernförderlich sind, wenn sie Schülerinnen und Schüler aktivieren, sie zur tiefen Verarbeitung von Inhalten anregen und sie in Kollaboration bringen. Auch bei ChatGPT geht es nicht darum, die komplette Schule durch KI zu ersetzen, denn Schule ist mehr als die Produktion von gut klingenden Texten. Aber ChatGPT und Co. können nicht nur beim Schreiben lerndienlich sein, sondern auch beim Vorbereiten des Unterrichts, beim Erklären von Zusammenhängen und bei der Überprüfung des Gelernten. Nicht nur Schule, sondern wir alle als Gesellschaft müssen jetzt lernen, gemeinsam mit den KI-Tools zu arbeiten. KI-Tools sollen uns nicht dümmer, sondern klüger machen.