KI an deutschen Schulen – die Forschung brummt, die Politik diskutiert, die Praxis wartet

Ein kritischer Rückblick auf die achte bundesweite KI-Fachtagung in Berlin

Wie steht es um den Einsatz Künstlicher Intelligenz an deutschen Schulen? Darüber diskutierten am 11. Oktober 2023 Experten aus Wissenschaft, Politik und Praxis auf der achten bundesweiten Fachtagung KI in Berlin. Unser Redakteur Michael Klitzsch war vor Ort.

Am besten beschrieb wohl eine Publikumsfrage nach der abschließenden Podiumsdiskussion, wie es um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz an deutschen Schulen bestellt ist: Da meldete sich Susanne Thimet, Leiterin des Seminars für Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte in Karlsruhe, zu Wort und ermunterte die Diskutierenden, ihrer Einrichtung doch entsprechende KI-Programme zur Verfügung zu stellen, da sie keine Anwendungen kenne, „die wir einsetzen können” – es gebe nur „ganz viel in der Forschung”. Genau das sei ja das Problem, entgegnete ihr Prof. Dr. Ulrike Cress, Direktorin des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM), auf dem Podium: „Es gibt in der Praxis noch viel zu wenige flächendeckend einsetzbare KI-Lernsysteme.“

Und genau das ist wohl eine der ernüchternden Erkenntnisse dieser Fachtagung: Es wird noch einige Zeit ins Land gehen, bis Künstliche Intelligenz in didaktisch durchdachten, anwendungsfreundlich designten und für alle verfügbaren Lernprogrammen an allen deutschen Schulen ankommen wird. Professor Thomas Riecke-Baulecke, Leiter des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung in Baden-Württemberg, Mitherausgeber dieses Magazins und Mitveranstalter der Fachtagung, nahm schon bei der Begrüßung kein Blatt vor den Mund: Obwohl man bereits eine Reihe von Fachtagungen abgehalten und Gespräche mit den politisch Verantwortlichen geführt habe, „müssen wir de facto feststellen, dass nichts, aber auch gar nichts in diesem Bereich vorangegangen ist.” Auch Professorin Ulrike Cress konstatierte in ihrem Vortrag: „Im internationalen Vergleich hinken wir in Deutschland drastisch hinterher.”

Die Niederlande als Vorbild

Dass man im Jahr 2023 auch schon deutlich weiter sein kann, veranschaulichte Professorin Inge Molenaar von der niederländischen Radboud Universität in ihrem Vortrag. Künstliche Intelligenz in der Schule ist dort ein gesamtgesellschaftlich forciertes Projekt und wird mit 80 Millionen Euro über zehn Jahre von der Regierung gefördert. Eine nationale Institution – das National Education Lab AI – bringt dafür Wissenschaft, Bildungspraxis und Unternehmen zusammen. Die Digitalisierung läuft bei Deutschlands Nachbarn seit einem Jahrzehnt auf Hochtouren, entsprechend gut vorbereitet geht man dort nun in den Ausbau der KI-gestützten Lehr- und Lernmethoden. Prof. Dr. Olaf Köller, Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, räumte in der Abschlussrunde der Fachtagung entsprechend ein, er blicke mit „Neid und Scham” auf die Niederlande. „Bis heute hat das große, reiche Deutschland es nicht geschafft, was uns die Niederlande vormachen: eine nachhaltige nationale Struktur einzurichten, die wirklich die Chance bietet, langfristig für die Schulen etwas zu tun.” Stattdessen komme man hier „im Gerangel von Bund und Ländern keinen Schritt weiter”. 

Vielversprechendes aus der Forschung

Glücklicherweise gab es bei dieser Konferenz nicht nur den Verweis auf die Bugs im deutschen Bildungssystem, sondern durchaus auch ganz konkrete Updates aus der Bildungsforschung, die aufzeigen, wie KI zu einem effektiven Upgrade im Unterricht werden könnte. So stellte etwa Florian Nuxoll von der Universität Tübingen das KI-gestützte intelligente Tutorensystem FeedBook vor. Es gibt Siebtklässlern an Gymnasien im Fach Englisch sofortige, individuelle Rückmeldungen – etwas, dass Lehrkräfte in dieser Weise in einer Unterrichtseinheit nicht für alle Schülerinnen und Schüler ihrer Lerngruppe  leisten könnten. Entsprechend skizzierte Nuxoll die Zukunft des Unterrichts als hybride Teamarbeit von Lehrkräften und KI. Das mache den Unterricht um ein Vielfaches effektiver, ändere jedoch nichts daran, dass weiterhin die Beziehung und Interaktion zwischen Lehrkräften und Lernenden  im Zentrum stehen müsse. Aber auch hier spiegelte sich das Grundproblem einer mangelhaften Implementierung in der Fläche: dieses System für andere Schularten und Klassen zu adaptieren würde Jahre dauern – oder eine Vervielfachung der Ressourcen benötigen.

Einen spannenden Einblick, welche Potentiale KI für die Praxis bietet, gab auch Prof. Dr. Hendrik Drachsler, Leiter des Bereichs Educational Technologies am Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Er stellte die Entwicklung und Forschung zu sogenannten Data-enriched Learning Analytics (DeLA) vor: KI-Systeme, die unter anderem per Feedback-Dashboards Lehrkräften eine Reihe von Informationen über den Lernstand ihrer Schülerinnen und Schüler anzeigen. Drachsler betonte, wie wichtig es sei, die Entwicklung der KI-Tools im Tandem mit der Praxis voranzutreiben: „Wir haben die Lehrkräfte bei dem Prozess sehr früh mitgenommen.” Dass die Systeme positive Auswirkungen in Form von höheren Lerngewinnen bei den Lernenden  haben, konnte er in seiner Studie auch bereits nachweisen.

„Eine Herkulesaufgabe für unsere Schulen”

Wie die nachweislich vorhandenen sinnvollen Anwendungsmöglichkeiten von KI-Technik in die alltägliche Schulpraxis transferiert werden können, das blieb die offene Frage bei der KI-Fachtagung. Professor Köller nannte die technischen und organisatorischen Voraussetzungen, die Schulen für den erfolgreichen Einsatz von KI-Tools aufbringen müssten, eine „Herkules-Aufgabe für unsere Schulen”. Mal ganz abgesehen von ungeklärten ethischen Grundfragen und den Gefahren und Fallstricken wie dem “automation bias”, auf die Professorin Ute Schmid, Inhaberin des Lehrstuhls für Kognitive Systeme an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, in ihrem Vortrag und bei uns im Online-Magazin in ihrem Gastbeitrag hinwies.

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Prof. Dr. Ute Schmid analysiert in ihrem Gastbeitrag, was es braucht, um künstliche Intelligenz kompetent in den Unterricht zu integrieren.

Große Herausforderungen seien das, insbesondere auch für die Politik, wie die beiden Bildungsministerinnen aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, Theresa Schopper und Dr. Stefanie Hubig, in ihren Grußworten auf der KI-Fachtagung betonten. Klar sei aber auch, dass das Thema  in der politischen Agenda weiter nach oben rücken müsse.  So hielten etwa beide Politikerinnen es für dringend notwendig, die Medienkompetenz in den Schulen deutlich zu stärken, um für die neue Technik besser gewappnet zu sein.

Die effektive Interaktion von Mensch und (intelligenter) Maschine beim Lernen und Lehren – sie bleibt trotz vielversprechender Forschung für die allermeisten Schulen in Deutschland vorerst Science Fiction. Aber vielleicht hat ja jemand zur neunten KI-Fachtagung eine überzeugende KI-Anwendung, die Frau Thimet in Karlsruhe ausprobieren und hoffentlich für gut befinden kann.