Herausforderung Sprache: Zur Situation von geflüchteten Kindern an deutschen Schulen

Die sprachliche und soziale Integration der Kinder von Geflüchteten ist aktuell eine große Herausforderung für die Schulen. Was bedeutet das konkret? Hier eine Momentaufnahme.

Während der Flüchtlingskrise 2015/16 und infolge des Kriegs in der Ukraine haben die Schulen in Deutschland viele Kinder von Geflüchteten aufgenommen und verwenden viel Energie darauf, sie sprachlich zu fördern und sozial zu integrieren, um sie erfolgreich am Unterricht teilhaben zu lassen. Dabei stößt so manche Schule auch an ihre Grenzen. Es fehlt schlichtweg an Ressourcen. Aber es stellt sich auch die Frage, welche Modelle der sprachlichen und sozialen Integration geeignet sind, die Herausforderung zu meistern.

Ereignisse wie der Krieg in der Ukraine oder die europäische Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016 bringen eine enorme Herausforderung für das deutsche Bildungssystem mit sich: Das Statistische Bundesamt (Destatis) spricht von aktuell 1,6 Millionen Schülerinnen und Schülern (von 11,1 Millionen insgesamt) in Deutschland, die „eine ausländische Staatsbürgerschaft“ haben, – ohne dabei genauer auf die jeweilige Herkunft oder auf den jeweiligen Status dieser Schülerinnen und Schüler einzugehen.

Genauere Zahlen gibt es hingegen in Bezug auf die Kinder von Geflüchteten aus der Ukraine. Sie werden von der Kultusministerkonferenz in vierzehntägigem Rhythmus online veröffentlicht: So befanden sich zum 4. Februar 2024 insgesamt 218.613 Schülerinnen und Schüler aus Familien von aus der Ukraine Geflüchteten an Schulen in Deutschland. In den Jahren 2022 und 2023 ist diese Gesamtzahl noch rapide angestiegen, inzwischen stagniert sie aber beinahe: Lediglich 247 neue Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine kamen in den beiden Wochen vor dem Veröffentlichungstermin hinzu.

Schulen stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen

Noch im vergangenen Jahr mussten in den meisten Bundesländern viele Kinder aus Familien von Geflüchteten längere Zeit auf einen Schulplatz warten, weil nicht genügend freie Plätze vorhanden waren. Inzwischen scheint sich die Lage etwas beruhigt zu haben. Lediglich in Berlin und in Nordrhein-Westfalen kann der Bedarf offensichtlich immer noch nicht ausreichend gedeckt werden. Nach Angaben des Berliner Senats fehlten im Dezember 2023 fast 1000 Schulplätze für die Kinder von Geflüchteten. In Nordrhein-Westfalen waren es zu Beginn des Schuljahres 2023/24 nach Auskunft des Schulministeriums noch beinahe 4000. Es gibt hier bislang keine aktualisierten Zahlen – aber es ist davon auszugehen, dass nach wie vor viele Schulen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen und vorerst keine weiteren Geflüchteten mehr aufnehmen können.

Laut Beschluss der Kultusministerkonferenz gilt jedoch für alle Kinder von Geflüchteten grundsätzlich die uneingeschränkte Schulpflicht gemäß den Gesetzen des jeweiligen Bundeslandes. Lediglich für Kinder, die mit ihren Familien gerade erst in Deutschland angekommen sind, gibt es in einigen Bundesländern Ausnahmen von der allgemeinen Schulpflicht bzw. es gelten für sie Fristenregelungen. 

Wie funktioniert die schulische Integration der Kinder von Geflüchteten?

Die größte Herausforderung für die Schulen ist die sprachliche und soziale Integration der geflüchteten Schülerinnen und Schüler. Je nach Bundesland gibt es verschiedene Ansätze und Programme, um diese Hürde zu meistern. Teilweise wurden die bereits während der Flüchtlingskrise 2015/16 etablierten Integrations- und Sprachförderprogramme übernommen, teilweise wurden aber auch neue Programme und Konzepte geschaffen:

  • „Willkommensklassen“ bzw. Vorbereitungsklassen (in 11 von 16 Bundesländern)
    Ursprünglich während der Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016 geschaffen, sollen diese Klassen neuankommenden Kindern ohne Deutschkenntnisse die Integration in das deutsche Bildungssystem erleichtern. Sie bieten intensiven Deutschunterricht und sollen die Kinder auf den Wechsel in die Regelklassen vorbereiten. Die neu geschaffenen „Brückenklassen“ in Bayern, die an das Konzept der Vorbereitungsklassen anknüpfen, sollen eine noch passgenauere sprachliche und soziale Integration in das Schulsystem und in die Gesellschaft gewährleisten.
     
  • Regelklassen mit spezifischer Förderung
    Anstelle der separaten Vorbereitungs- und Willkommensklassen setzen einige Bundesländer darauf, ukrainische Kinder direkt in Regelklassen zu integrieren. Dadurch soll der Integrationsprozess beschleunigt und die Gefahr einer Segregation und Isolation vermieden werden. Regelklassen mit spezifischer Förderung bieten zusätzliche Sprachförderung oder teilweise äußere Differenzierung (spezielle Lerngruppen in bestimmten Fächern). Gleichzeitig wird dort stärker binnendifferenziert unterrichtet. Hamburg versucht dieses integrative Bildungs- und Unterrichtskonzept mit dem zu Beginn des Jahres neu eingeführten „Kita Plus“-Programm zu ergänzen. Bereits im Kindergartenalter sollen dadurch die Voraussetzungen für eine gelingende sprachliche und soziale Integration von Kindern mit geringen oder keinen Deutschkenntnissen geschaffen werden. 
     
  • Außerschulische Zusatzangebote und Kooperationen
    Viele Bundesländer und deren Schulen streben auch gezielt die Zusammenarbeit mit außerschulischen Organisationen, gemeinnützigen Vereinen und ehrenamtlichen Helfern an, um zusätzliche Unterstützung und Ressourcen für die sprachliche Integration bereitzustellen (z.B. Integrationskurse, Nachhilfe-Programme, Sprachpatenschaften, kulturelle Aktivitäten).

Lehrerverbände kritisieren Defizite und Mangel an Ressourcen

Trotz aller Bemühungen der Schulen und vielfältiger staatlicher Unterstützungsprogramme betonen insbesondere die Lehrerverbände, dass die Integration der Kinder von Geflüchteten in das deutsche Schulsystem erfolgreicher verlaufen würde, wenn es die folgenden Probleme nicht gäbe:

  • Zu geringe finanzielle Ressourcen für die von den Bundesländern initiierten Unterstützungsprogramme an den Schulen
  • (Daraus resultierender) Mangel an Lehr- und Unterstützungskräften
  • Teilweise fehlende oder mangelhafte Ausbildung der Lehr- und Unterstützungskräfte für die spezifische Tätigkeit in den Vorbereitungsklassen und Unterstützungsprogrammen
  • Defizite an Lehr- und Stoffplänen für die Vorbereitungs- und Willkommensklassen
  • Unklare oder gänzlich fehlende Regeln und Maßstäbe für den Übergang von der Vorbereitungs- in die Regelklasse

Bildungsexperten sprechen sich vor diesem Hintergrund gegen das Konzept der Separation in Sonderklassen aus: Die Soziologin Juliane Karakayali betont, dass mit einer parallelen Beschulung viele Probleme verbunden seien. In den Bundesländern gebe es bisher keine klaren Vorgaben für solche Klassen. Außerdem habe dieses Konzept bereits in den 60er- und 70er-Jahren mit den Kindern der Fremdarbeiter nicht gut funktioniert. Karakayli ist Autorin der Expertise „'Willkommensklassen' in Berlin. Mit Segregation zur Inklusion“, in der sie die Schwächen der im Kontext der Flüchtlingskrise 2015/16 eingerichteten Willkommensklassen in Berlin aufzeigt.

Fehlende Untersuchungen zur Sprachentwicklung der geflüchteten Kinder im Deutschen

Ungeachtet der Frage, wie man die Unterrichtsklasse am besten organisiert, um geflüchtete Kinder gut mitzunehmen, ist die entscheidende Voraussetzung für erfolgreiches Lernen im deutschen Regelschulsystem die Beherrschung der Landessprache, darin sind sich alle Bildungsexperten einig. Leider gibt es zur Sprachentwicklung geflüchteter Kinder kaum wissenschaftlich belastbare Daten. Immerhin, eine Studie des IAB stimmt zuversichtlich. Danach gibt es beim Erlernen der deutschen Sprache Fortschritte: Anfang 2023 bescheinigten sich die ukrainischen Geflüchteten, dass sich ihre Deutschkenntnisse – nach eigener Einschätzung – seit dem Spätsommer 2022 deutlich verbessert haben.