Wie man Mädchen für MINT-Fächer begeistern kann. Und Jungen auch.

In der PISA-Studie und ähnlichen Tests schneiden Mädchen in MINT-Fächern im Schnitt deutlich schlechter ab. Aber es gibt Gegenmittel.

In ihrer Doktorarbeit hat Kaley Lesperance Belege dafür gesammelt, dass bestimmte Unterrichtsinhalte Mädchen dabei helfen können, in naturwissenschaftlichen Fächern nicht mehr durchschnittlich deutlich schlechter abzuschneiden als Jungen und wie Schulen den Geschlechterunterschieden in MINT vorbeugen können.

Redaktion: Sind Mädchen schlechter in MINT-Fächern als Jungen?

Dr. Kaley Lesperance: So allgemein ist das schwer zu sagen. In PISA-Tests und ähnlichen Längsschnittstudien gibt es in Deutschland zwar Leistungsunterschiede, aber das liegt nicht daran, dass Jungen per se besser sind in Mathe. In der Grundschule gibt es kaum Abweichungen zwischen Jungen und Mädchen, aber ab der dritten oder vierten Klasse entwickeln sich allmählich Motivations-Unterschiede sowie Differenzen bezüglich Interesse und Selbstwirksamkeit.

Redaktion: Wie kommt das?

Lesperance: Geschlechtsstereotype sind in unserer Gesellschaft sehr ausgeprägt. Das fängt im Babyalter schon an, dass Jungen oft anderes Spielzeug angeboten bekommen als Mädchen, und setzt sich in der Kindheit fort, wenn Jungen zum Beispiel andere Hobbys ausprobieren als Mädchen. Auch was Rollenbilder angeht: Wenn ich zu einer Gruppe sage „Denkt an jemanden, der im Bereich Physik arbeitet“, dann würden fast alle an einen Mann denken. Das hat auch einen Einfluss auf das Interesse an MINT-Fächern und verstärkt sich, wenn wir in die Schule gehen.

Redaktion: Wie kann man da in der Schule gegensteuern?

Lesperance: Ich habe untersucht, ob schulbasierte Interventionen das verändern können – darunter fällt, was neu ist oder anders ist als traditioneller Unterricht. Entweder eine andere Art von Unterricht, oder Dinge, die die Schüler und Schülerinnen zu Hause oder im Unterricht machen. Es gibt einige Maßnahmen, die ausprobiert wurden, um den Unterschied zwischen Jungen und Mädchen zu verringern. In vielen Studien wurde schon geschaut, was Mädchen brauchen, um eine höhere Motivation oder Selbstwirksamkeit zu erreichen, und welche Maßnahmen dafür hilfreich sind. Ich habe mir einen Überblick über all diese Studien verschafft und dazu eine Forschungssynthese geschrieben.

Redaktion: Was ist das Ergebnis? Gibt es bestimmte Dinge, die Lehrkräfte machen können, damit sich in mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern nicht mehr so große Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen entwickeln?

Lesperance: Ja, besonders Interventionen, die stark auf die psychosozialen Prozesse abzielen, also sich auf Motivation, Interesse, Selbstkonzept und Selbstwirksamkeit beziehen. Unterrichtsinhalte, die das fördern, hatten positive Effekte für Jungen und Mädchen, aber für Mädchen stärker als für Jungen. Also auch Jungen waren danach motivierter und hatten mehr Interesse an MINT-Fächern, aber bei Mädchen hatten die Maßnahmen so starke positive Effekte, dass die Lücke zwischen den Geschlechtern kleiner wurde.

Redaktion: Welche dieser Maßnahmen kann jede Lehrkraft oder Schulleitung umsetzen?

Lesperance: Ein klassisches Beispiel ist eine sogenannte Rollenbild-Intervention. Das könnte so aussehen, dass die Lehrkraft eine Ingenieurin, Pilotin oder Physikerin oder eine andere Frau, die in einem MINT-Beruf arbeitet, in den Unterricht einlädt. Wenn die Frau von ihrem Job erzählt, idealerweise auch noch etwas Begeisterung vermittelt, dann zeigt sie den Schülern und Schülerinnen, dass auch Frauen in diesen Berufen erfolgreich sein können. Das muss nicht unbedingt in Präsenz sein, auch Videos, Texte oder Audios dazu sind hilfreich. Das ist eine sehr wirksame Methode.

„Die Forschung hat gezeigt, dass auch kleine oder seltene Interventionen einen messbaren Effekt haben.“

Dr. Kaley Lesperance

Eine kleinere, aber auch schon wirksame Intervention ist, wenn man die Schüler und Schülerinnen zum Beispiel am Ende einer Unterrichtsstunde fragt, welchen Nutzen die Unterrichtsinhalte für ihren Alltag haben können. Da könnte man einen Bezug zum Kochen und Backen herstellen, oder in Physik ließe sich für Sportarten etwas ableiten. Das kann sich bei Mädchen positiv auf das Interesse und die Selbstwirksamkeit auswirken, wenn sie merken, dass die Unterrichtsinhalte ihren Alltag betreffen, auch wenn sie vielleicht generell kein Fan des Fachs sind. Und das muss man nicht jeden Tag oder über eine lange Zeit machen – die Forschung hat gezeigt, dass auch kleine oder seltene Interventionen einen messbaren Effekt haben.

Redaktion: Gibt es auch Möglichkeiten für Lehrer und Lehrerinnen, die nicht in den Naturwissenschaften unterrichten, aber trotzdem bei den Mädchen das Interesse daran stärken wollen?

Lesperance: Ja, es hat sich gezeigt, dass auch allgemeine Interventionen, die die Selbstwirksamkeit verbessern, einen positiven Effekt für Mädchen und MINT-Fächer haben. Denn Mädchen denken manchmal „Das Fach XY kann ich einfach nicht.“ Da kann es helfen, dass man übt, anders über sich selbst und seine Leistungen nachzudenken, also sich stattdessen zu sagen: „Ich habe die Aufgabe falsch gelöst, woran liegt das? Warum habe ich das nicht so gut hinbekommen?“ Dann kann man die Perspektive wechseln und sich bewusst machen: Wenn mir mal etwas nicht so leichtfällt, heißt das nicht automatisch, dass ich es nicht kann. Ich muss mich halt mehr anstrengen, mehr üben als vorher, oder die Lehrkraft oder andere Lernende um Hilfe bitten. Wenn man dieses sogenannte „Growth Mindset“ fördert, wirkt sich das auch positiv auf die Leistungen in den MINT-Fächern aus.

Redaktion: Frau Doktorin Lesperance, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Kaley Lesperance hat an der TU München zum Thema „Geschlechterunterschiede in motivationalen Schülermerkmalen in MINT-Fächern“ promoviert, insbesondere darüber, wie Schulen und Lehrkräfte diese Geschlechterunterschiede in MINT verringern können. Heute arbeitet sie als wissenschaftliche Beraterin für einen Forschungsprojektträger an verschiedenen Bildungsprojekten.