Schulleitungen unter Stress

Prof. Annette Scheunpflug erklärt, wie Schulleitungen mit komplexer werdenden Herausforderungen umgehen können

Trotz neuer Herausforderungen müssen Schulleitungen in ihren Schulen für eine positive Grundstimmung sorgen und ihrem Kollegium Orientierung bieten. Wie das gelingen kann, ist in diesem Jahr das zentrale Thema des 16. Bamberger Schulleitungssymposiums am 12./13.Oktober. Mit Blick auf die Veranstaltung erläutert Prof. Dr. Dr. Annette Scheunpflug Strategien, wie Schulleitungen komplexer werdende Herausforderungen erfolgreich meistern können.

Redaktion: Sie sagen, dass der Arbeitsalltag von Schulleitungen in den letzten Jahren deutlich komplexer geworden ist – inwiefern?

Prof. Dr. Dr. Annette Scheunpflug: Es ist vor allem die Gleichzeitigkeit der Herausforderungen, Stichwort Corona-Folgen, Lehrkräftemangel oder Migration, mit der Schulleitungen konfrontiert sind. Hinzu kommen weitere wichtige Themen, wie etwa Klima und Nachhaltigkeit. Manche empfinden inzwischen auch die Erfüllung des Erziehungsauftrags als anstrengender als früher. Andere Aufgaben, wie die Kernaufgabe von Schule, Schülerinnen und Schüler auf das Leben vorzubereiten, waren schon immer da, aber auch da steigen die Anforderungen, wenn Schülerinnen und Schüler durch die Covid-19-Pandemie bei manchen Dingen aufholen müssen.

So sind viele Schulleiterinnen und Schulleiter mit einem großen Bündel an Herausforderungen konfrontiert. Daraus entsteht Entscheidungs- und auch Handlungsdruck, der bewältigt werden will.

Redaktion: Was folgern Sie aus Ihrer Analyse?

Scheunpflug: Als Universität sollten wir versuchen, Schulleiterinnen und Schulleiter dabei zu unterstützen, dass sie trotz der ansteigenden Komplexität durch viele verschiedene schulische und gesellschaftliche Veränderungen und Entwicklungen handlungsfähig bleiben – damit diese multidimensionalen Herausforderungen gut bewältigt und nicht einfach nur als Überforderung erlebt werden.

Redaktion: Haben Schulleitungen denn überhaupt eine andere Wahl, als einfach nur bestmöglich auf die Herausforderungen zu reagieren, die auf sie einprasseln?

Scheunpflug: Ja, das haben sie. Allein die Wahrnehmung macht einen Unterschied: Ob ich das alles als von außen auf mich gestülpte Probleme empfinde oder ob ich erkenne, dass die Gesellschaft als Ganzes eben immer komplexer wird – dann verschiebt sich der Fokus. – Es geht dann nicht mehr reflexhaft um die Abwehr von Problemen, sondern um die Frage: Wie kann ich mit dieser Komplexität angemessen umgehen?

Redaktion: Wie genau funktioniert das?

Scheunpflug: Es geht darum, die eigene Energie darauf zu konzentrieren, wie Komplexität angemessen reduziert werden kann. Dazu hilft ein wenig Theoriewissen, Übung in verschiedenen Szenarien und ein auf diese Komplexität bezogenes Verständnis von Leitung, das Sicherheit gibt, Ambivalenzen kommuniziert und zu einem versuchenden Handeln ermutigt.

Die zunehmende Komplexität wirkt ja von außen auf das System Schule und auch auf die Einzelschule ein. Wenn man sie ungefiltert nach innen weitergibt, dann ist es für alle eine unangenehme, überfordernde Situation. Deshalb muss sich jede Schulleiterin und jeder Schulleiter überlegen: Welches Problem gebe ich überhaupt weiter? Gebe ich alle weiter oder einige nicht? Was sind komplexitätsreduzierende Mechanismen, zum Beispiel durch die Involvierung anderer Institutionen, durch neue Formen des Lernens oder durch ganz gezielte Handlungsunterstützung et cetera. Wir bieten auf diesem Kongress verschiedene Szenarien an, die die Kongressteilnehmenden durchlaufen können, um das ganz konkret zu üben und dadurch ins Handeln zu kommen. 

Redaktion: Welche Angebote gibt es ansonsten noch auf dem Symposium?

Scheunpflug: Wir haben ein Format mit dem Namen „Meet the Expert“ eingerichtet, sodass man die Chance hat, gezielte Fragen zu besprechen. Zudem bieten wir Schulleitungs-Coaching an, um eigene Themen in einem geschützten Rahmen zu besprechen. Wir erleben, dass das, was in der Industrie selbstverständlich ist – nämlich dass Managerinnen und Manager, die viel entscheiden müssen, beratende Begleitung erhalten und die Möglichkeit, sich zur Reflexion der anstehenden Aufgaben zurückzuziehen –, in der Schule noch zu wenig angekommen ist. Und dazu wollen wir ermutigen.

Redaktion: Woher stammen diese Ideen über den Umgang mit komplexen Herausforderungen?

Scheunpflug: Die gehen zurück auf Managementtheorien, die den Umgang mit Komplexität betreffen. Diese verweisen darauf, dass das Leitungshandeln mit davon abhängt, wie die Natur derjenigen Probleme ist, die bearbeitet werden, ob es sich zum Beispiel um Routineprobleme, um komplizierte, bekannte Herausforderungen oder um komplexe Fragen handelt. Diese Unterscheidung ist zunächst einmal bedeutsam, um sich einen klaren Überblick über die Probleme zu verschaffen und diese dann sukzessive bewältigen zu können. Dann lernt man auch zu sagen: Diesen Teil des Problems, den bearbeite ich aus ganz bestimmten Gründen nicht.

Dabei ist es bedeutsam, den Blick auf die beteiligten Kolleginnen und Kollegen zu werfen, zum Beispiel auf den Umgang mit herausfordernden Kolleginnen und Kollegen. Wenn man das nicht systematisch analysiert und bearbeitet, bleibt es permanent herausfordernd und begleitet einen die ganze Zeit. Insbesondere in Krisensituationen wird man das möglicherweise als überfordernd empfinden. Deshalb sollte man solche Probleme proaktiv bearbeiten und klären. 

Redaktion: Frau Professorin Scheunpflug, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Annette Scheunpflug ist Professorin für Allgemeine Pädagogik an der Universität Bamberg und Teil des Organisationsteams des 16. Bamberger Schulleitungssymposium am 12. und 13. Oktober 2023.