Was bei der Berufsorientierung in der Schule wichtig ist

Forschende erklären, wie man Schüler und Schülerinnen bei der Studien- oder Ausbildungswahl am besten unterstützt

Die Abbruchquoten bei Auszubildenden und Studienanfängerinnen und Studienanfängern sind hoch – etwa jeder und jede Vierte bricht im Schnitt wieder ab. Den Schulen kommt bei der vorhergehenden Berufsorientierung eine wichtige Rolle zu. Prof. Dr. Johannes Siebert vom Management Center Innsbruck erklärt, welchen Fehler man dabei vermeiden sollte.  

Die Berufsorientierung ist inzwischen Teil jedes Lehrplans in Deutschland. Einen guten Überblick zu haben, welche Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten es gibt, ist aber nicht das einzig Wichtige bei der Berufsorientierung in der Schule, meint Prof. Dr. Johannes Siebert. Aus seiner Sicht ist es wichtig, die Entscheidungskompetenz von Jugendlichen zu stärken, um sie zu befähigen, gute Entscheidungen für ihre Zukunft zu treffen.

„Wir treffen Entscheidungen häufig nicht systematisch.“

Prof. Dr. Johannes Siebert

„Das Problem ist, dass die meisten jungen Menschen die Entscheidung nicht bewusst treffen. Wir sind so konditioniert, dass wir nur zwischen vorgegebenen und offensichtlichen Optionen entscheiden,“ meint Siebert. Etwa, wenn die Frage aufkomme, ob man sich jetzt bei Betrieb A oder B für eine Ausbildung bewerben soll – weitere Alternativen würden oft gar nicht ausreichend bedacht. „Die meisten von uns haben nicht gelernt, gute Entscheidungen zu treffen. Oft machen wir etwas, ohne lange genug darüber nachzudenken. Wir treffen Entscheidungen häufig instinktiv statt systematisch.“

Acht Schritte zur Ausbildungs-Entscheidung

Sein Projekt KLUGentscheiden! will das ändern. „Wir befähigen Schülerinnen und Schüler dazu, Entscheidungssituationen bewusst, proaktiv, selbstbewusst und mit Elan anzugehen. Dadurch erhöhen sich die Entscheidungsfähigkeiten, die Selbstwirksamkeit und die Wahrnehmung, das eigene Leben selber aktiv gestalten zu können,“ erklärt Siebert. Er hat zusammen mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Pädagoginnen und Pädagogen eine Weiterbildung entwickelt, mit der Lehrkräfte ihre Schüler und Schülerinnen bei der Berufswahlentscheidung besser unterstützen können. Dabei geht es vor allem darum, Entscheidungssituationen vorherzusehen, sich über die eigenen Stärken und Ziele klar zu werden, in Betracht kommende Optionen auszuloten und erst dann die bestmögliche Wahl zu treffen.

Laut einer Studie bewirkt das Projekt KLUGentscheiden! etwas: Demnach nehmen Schülerinnen und Schüler die Entscheidung, was sie nach der Schule machen wollen, als weniger schwierig wahr, nachdem sie das Programm durchlaufen haben. Sie sind zuversichtlicher, relevante Maßnahmen für ihre Berufswahl ergreifen zu können. Außerdem schätzen sie ihr Entscheidungsverhalten als proaktiver ein.

Berufsorientierung schon in der Grundschule?!

Sieberts Projekt zur Berufswahlorientierung richtet sich an die Lernenden der weiterführenden Schulen, aber der Aktionsrat Bildung betont in seinem Gutachten „Bildung und berufliche Souveränität“, dass bereits in der Grundschule entscheidende Prozesse für die Berufsorientierung stattfinden, die einen wesentlichen Einfluss auf berufliche Entscheidungen in späteren Lebensphasen haben.

Die neun renommierten Bildungsforschenden, die sich im im Aktionsrat Bildung zusammengeschlossenen haben, empfehlen deshalb unter anderem, im Grundschulalter zu thematisieren, dass alle Geschlechter alle Berufe ausüben können, damit Kinder für alle beruflichen Richtungen offen bleiben und nicht wegen ihres Geschlechts bestimmte Berufe von vornherein ausschließen. Auch die Herkunft und die Selbsteinschätzung der eigenen intellektuellen Fähigkeiten könnten Kinder schon unnötig in ihren Zukunftsvorstellungen begrenzen.

In der Sekunderstufe: Überblick verschaffen

In der Sekundarstufe gibt es an vielen Schulen erste Praktika, aber lange nicht an allen. Dabei ist die Sekundarstufe eine äußerst wichtige Phase für die Berufsorientierung, schreiben die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Aktionsrats Bildung. Sie fordern mindestens zwei Praktika in der Sekundarstufe, unabhängig von der Schulform. Das helfe dabei, dass Schülerinnen und Schüler einen Überblick über aktuelle berufliche Möglichkeiten vermittelt bekommen – zu oft klebe die Berufsorientierung noch an traditionellen Berufsbildern.

Nächste Veranstaltungen

KLUGentscheiden! Vorstellung eines Curriculums für die Berufliche Orientierung durch Entscheidungsanalyse
15. November 2023, 15 bis 16.30 Uhr
Zur Veranstaltung

Fortbildung zu KLUGentscheiden
23. November 2023, 9 bis ca. 16 Uhr
Zur Veranstaltung
 

Berufsorientierung endet nicht in der Schule

Forscher Johannes Siebert hat nicht nur mit Schülerinnen und Schülern Studien zur Berufswahlentscheidung angestellt, sondern auch mit Studierenden. Bei einer Befragung von Erstsemestern der RWTH hat die überwiegende Mehrheit die Studienwahl als ihre wichtigste Entscheidung im letzten Jahr bezeichnet. „Davon hat ungefähr die Hälfte diese als Problem charakterisiert und die andere Hälfte als Riesenmöglichkeit, sich zu verwirklichen“, fasst Siebert die Ergebnisse zusammen. „Und wir haben dann auch noch Zufriedenheitswerte abgefragt und konnten zeigen, dass allein die Art und Weise, wie man eine Entscheidung angeht, darüber bestimmt, ob man danach damit zufrieden ist oder nicht.“ Das könne man auch auf andere lebensverändernde Entscheidungen übertragen.

Zur Person

Johannes Siebert ist Professor für Entscheidungswissenschaften und Verhaltensökonomie am Management Center Innsbruck. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Untersuchung menschlichen und organisationalen Entscheidungsverhaltens sowie die Entwicklung von Entscheidungsunterstützungsmethoden.