Wie gelingt lernwirksamer Unterricht mit digitalen Medien?

Im Gastbeitrag erläutern Dr. Tim Fütterer und Prof. Dr. Katharina Scheiter Ansätze für einen qualitativ hochwertigen, digital gestützten Unterricht.

Mit der fortschreitenden Digitalisierung gewinnt der digital gestützte Unterricht zunehmend an Bedeutung  zumal digitale Technologien eine Vielzahl von Vorteilen bieten, darunter eine erhöhte Interaktivität, Individualisierung und Flexibilität. Doch wie steht es um die Qualität eines digital gestützten Unterrichts?

Warum digital gestützter Unterricht sinnvoll ist

Digital gestützter Unterricht ist kein Selbstzweck. Wie alle Medien sollten auch digitale Medien im Unterricht eingesetzt werden, um spezifische Ziele zu erreichen. Ein Ziel kann dabei sein, die Medienbildung und Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler zu stärken („Lernen über Medien“). Ein anderes Ziel bezieht sich auf die Unterstützung fachlichen Lernens, um spezifische Kompetenzen beziehungsweise Lernziele zu erreichen („Lernen mit Medien“). Um dieses „Lernen mit Medien“ soll es in folgendem Beitrag gehen.

Digitale Medien bieten zahlreiche Potenziale, um Lernprozesse im Unterricht zu unterstützen. Zum Beispiel lassen sich durch ein digital gestütztes formatives Assessment oder auch Feedback Unterrichtsstunden adaptiver gestalten. Lehrerinnen und Lehrer können zum Beispiel ein Quiz-Tool einsetzen, um das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler zu aktivieren und sich gleichzeitig einen Überblick über ihren Wissensstand zu verschaffen. Auf dieser Basis können sie anschließend Lernangebote für unterschiedliche Gruppen unterbreiten. Im Fall tutorieller Systeme gleicht ein Lernprogramm die Antworten von Schülerinnen und Schülern regelmäßig mit der im System hinterlegten Modellierung der Wissensdomäne ab. Treten Diskrepanzen auf, erhält die Schülerin oder der Schüler weiterführende Erläuterungen oder Übungsaufgaben, die ihr oder ihm helfen, die Wissenslücke zu füllen. Auch gibt es Dashboards und Lernmanagementsysteme, die die Klassenführung unterstützen und Lehrkräfte entlasten, in dem sie die Zuweisung passgenau ausgewählter Lernaufgaben ermöglichen und so garantieren, dass sich alle Lernenden zeitgleich mit für sie geeigneten Materialien auseinandersetzen. Darüber hinaus kann die konkrete Zusammenarbeit der Schülerinnen und Schüler untereinander durch digitale Medien gut umgesetzt werden. So können diese beispielsweise gemeinsam zeitversetzt und ortsunabhängig im Rahmen einer Projektarbeit an einer digitalen Collage arbeiten. Für einen Überblick zu Potenzialen digitaler Medien im Unterricht empfehlen wir Scheiter (2017).

„Im Kern muss es darum gehen, durch eine gute Abstimmung digitaler und analoger Herangehensweisen qualitativ hochwertigen Unterricht zu gewährleisten.“

Dr. Tim Fütterer und Prof. Dr. Katharina Scheiter

Weshalb nicht jede Unterrichtsstunde auf digitale Medien setzen sollte

Sollte also jeder Unterricht digital gestützt sein? Nein. Grundsätzlich wird sich niemand der rasant fortschreitenden Entwicklung neuer Technologien entziehen können. Allein aus diesem Grund ergibt es keinen Sinn, sich technologischen Entwicklungen (aktuell zum Beispiel Virtual Reality und generative künstliche Intelligenz) zu verweigern – insbesondere auch deswegen nicht, weil sie die Lebens- und zukünftige Arbeitswelt von Kindern und Jugendlichen widerspiegeln. Allerdings ergibt es ebenso wenig Sinn anzunehmen, dass jede Unterrichtsstunde digital gestützt organisiert sein sollte. Wie jedes Medium, sollten auch digitale Medien zielgerichtet im Unterricht integriert werden. Das bedeutet, dass Lehrerinnen und Lehrer – je nach anzustrebendem Ziel – den Einsatz digitaler Medien abwägen sollten. Welche Funktion kann das digitale Medium für ein bestimmtes Unterrichtsziel erfüllen? Können hiermit Lernprozesse bei den Schülerinnen und Schülern angeregt oder Lernziele adressiert werden, die sonst nicht oder nur sehr aufwändig adressiert werden könnten? Im Kern muss es darum gehen, durch eine gute Abstimmung digitaler und analoger Herangehensweisen qualitativ hochwertigen Unterricht zu gewährleisten.

Was guten Unterricht ausmacht

In der empirischen Bildungsforschung wird unter einem qualitativ hochwertigen Unterricht in der Regel ein normativ als gut zu erachtender als auch ein wirksamer Unterricht verstanden. Die Wirksamkeit von Unterricht wird dabei beispielsweise an motivationalen oder kognitiven Lernerträgen von Schülerinnen und Schülern gemessen. Bezogen auf die Wirksamkeit besteht in der Forschung weitestgehend Konsens, dass die Tiefenstrukturen des Unterrichts hierfür besonders bedeutsam sind. Im deutschsprachigen Raum werden häufig drei zentrale Tiefenstrukturen genannt, die als empirisch gut abgesichert gelten:

  1. Eine effiziente Klassenführung. Diese ist unter anderem durch eine Maximierung der Lernzeit der Schülerinnen und Schüler charakterisiert.
  2. Das Potenzial für einen kognitiv anregenden Unterricht. Ein Merkmal für diese Tiefenstruktur ist beispielsweise, dass Schülerinnen und Schüler herausfordernde Aufgaben erhalten und sie die Möglichkeit haben, eigene Lösungswege zu erproben.
  3. Eine konstruktive Unterstützung der Lernenden. Diese zeichnet sich unter anderem durch ein wertschätzendes Klima und konstruktives Feedback aus.

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Was die Forschung über die Qualität von digital gestütztem Unterricht weiß

In den letzten Jahrzehnten wurde viel zur Nutzung von digitalen Medien für das Lernen geforscht. Der dazugehörende Forschungsstrang nennt sich „Technology-enhanced Learning“. Beispielsweise wurden in dieser Forschungstradition und häufig unter kontrollierten Bedingungen im Labor die Auswirkungen von Merkmalen digitaler Medien und Charakteristika von Lernenden auf Lernprozesse und Lernerträge untersucht. Das Lehren und die Einbindung von digitalen Medien in Unterrichtskontexten ist hingegen dem Forschungsstrang „Technology-enhanced Teaching“ zuzuordnen. Interessant ist, dass die Qualitätsmerkmale eines digital gestützten Unterrichts erst in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus gerückt wurden. Die Frage danach, WIE digitale Medien im Unterricht integriert werden (Fokus auf Qualität) wird gegenwärtig als relevanter erachtet als die Fragen OB, WIE HÄUFIG oder WIE VIEL digitale Medien im Unterricht eingesetzt werden (Fokus auf Quantität).

„Nach allem, was man bisher weiß, kann man davon ausgehen, dass die Qualitätsmerkmale eines analogen Unterrichts auch für einen digital gestützten Unterricht gelten.“

Dr. Tim Fütterer und Prof. Dr. Katharina Scheiter

Da die Forschungsrichtung, die sich der Qualitätsmerkmale eines digital gestützten Unterrichts annimmt, noch jung ist, existieren bisher nur wenige Forschungsarbeiten und dementsprechend wenige empirische Befunde zur Qualität eines digital gestützten Unterrichts. Um diese Qualität zu erfassen, kann es gleichwohl zielführend sein, die Qualitätsmerkmale (Tiefenstrukturen), die aus dem analogen Unterricht bereits bekannt sind, auf digital gestützten Unterricht zu übertragen. In einer aktuellen Studie konnten wir beispielsweise zeigen, dass das Potenzial eines kognitiv aktivierenden Unterrichts auch im Rahmen eines digital gestützten Unterrichts bedeutsam für das Lernen der Schülerinnen und Schüler ist. Konkret demonstrieren unsere Ergebnisse, dass sich Schülerinnen und Schülern im digital gestützten Mathematikunterricht umso mehr anstrengen, je eher sie den Unterricht als kognitiv aktivierend empfinden. Diese Relevanz eines kognitiv aktivierenden, digital gestützten Unterrichts konnten wir in ähnlicher Weise in einer Studie zum digitalen Distanzunterricht während der COVID-19 bedingten Schulschließungen aufzeigen. Allerdings fanden wir in dieser Studie auch heraus, dass Lehrkräfte das Potenzial von digitalen Medien für einen qualitativ hochwertigen Unterricht nicht vollständig ausschöpften.

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass empirische Befunde zu Gelingensbedingungen eines qualitativ hochwertigen, digital gestützten Unterrichts rar sind. Nach allem, was man bisher weiß, kann man jedoch davon ausgehen, dass die Qualitätsmerkmale eines analogen Unterrichts auch für einen digital gestützten Unterricht gelten.

Unterricht mit digitalen Medien: Ein Negativbeispiel

Da unsere bisherige Forschung auf das Potenzial eines kognitiv aktivierenden Unterrichts aufbaut, möchten wir auch anhand dieser Tiefenstruktur verdeutlichen, wie ein solcher Unterricht mit digitalen Medien in der Praxis aufgebaut werden kann. Dafür stellen wir die kollaborativen und offenen Webtools flinga und edupad vor. Beide Tools bieten das Potenzial, Lernende in Echtzeit gemeinsam an demselben Produkt arbeiten zu lassen. Mit „Produkt“ sind hierbei zum Beispiel Mind-Maps oder Textdokumente gemeint. Ganz entscheidend für deren lernwirksamen Einsatz ist die Art und Weise, wie die Lehrkraft zur Lerneinheit auffordert.

Werden Schülerinnen und Schüler nun aufgefordert, über das Tool vorgefertigte Inhalte wie Bilder und Texte anzuschauen oder durchzulesen, spricht man in der Forschung von einer sogenannten passiven Lernaktivität. Dabei sind Schülerinnen und Schüler in der Lage, das erworbene Wissen anschließend zwar wiederzugeben, haben die Inhalte aber nicht wirklich verstanden. Der Unterricht aktiviert die Lernenden somit sehr wahrscheinlich kognitiv nicht und das Potenziale der Tools wird nicht ausgeschöpft. Der Einsatz der digitalen Medien dient lediglich dem Selbstzweck.

Unterricht mit digitalen Medien: So geht es besser

Wenn Lernende dazu aufgefordert werden, Tools wie flinga oder edupad zu nutzen, um konstruktiv-interaktive Lernaktivitäten auszuführen, werden in der Regel höherwertige kognitive Prozesse angeregt. Auf diese Weise können komplexere Fähigkeiten gefördert werden, darunter die Fähigkeit neue Ideen unter Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven zu entwickeln. Konstruktiv-interaktive Lernprozesse lassen sich mit flinga und edupad unter anderem dadurch initiieren, dass alle Lernenden aufgefordert werden, zu einem bestimmten Thema eigene Lösungswege festzuhalten oder eine eigene Geschichte zu verfassen, auf die andere Lernenden direkt Rückmeldungen geben können. Durch Diskussionen und den Austausch von Argumenten können über die digitalen Tools Lerninhalte gemeinsam entwickelt werden – die Potenziale der Tools werden somit tatsächlich ausgeschöpft.

„Letztlich sind digitale Medien wie alle Medien ein Mittel zum Zweck, sollten aber kein Selbstzweck sein.“

Dr. Tim Fütterer und Prof. Dr. Katharina Scheiter

Welche Vorbereitung Lehrkräfte für einen qualitativ hochwertigen, digital gestützten Unterricht benötigen

Damit Lehrkräfte digitale Medien lernwirksam in ihrem Unterricht einsetzen können, ist es zunächst notwendig, dass sie den Nutzen von digitalen Medien für den eigenen Unterricht positiv bewerten. Darüber hinaus ist es entscheidend, dass Lehrkräfte über Wissen verfügen, wie digitale Medien zu bedienen sind (technologisches Wissen) und wie digitale Medien im Unterricht lernwirksam eingesetzt werden können (technologisch-pädagogisches Wissen). Um diese beiden Aspekte bei Lehrkräften im Beruf zu fördern, spielen Fortbildungen eine zentrale Rolle. Allerdings gilt es hierbei einige Herausforderungen zu beachten. Viele Fortbildungen, die aktuell in Deutschland angeboten werden, fokussieren sich auf das technologische, aber seltener auf das technologisch-pädagogische Wissen. In solchen Fortbildungen wird beispielsweise die Nutzung spezifischer Tools vorgestellt. Ein technologiezentriertes Fortbildungsangebot erscheint jedoch problematisch, weil das technologische Wissen zwar eine notwendige Voraussetzung für einen qualitativ hochwertigen digital gestützten Unterricht darstellt, aber keineswegs hinreichend ist. Eine weitere Herausforderung besteht darin, Lehrkräften Fortbildungen passend zu ihren Eingangsvoraussetzungen anzubieten, das heißt im Idealfall adaptive Fortbildungen, um sie weder zu unter- noch zu überfordern. Eng damit verbunden ist die Herausforderung, dass es Fortbildungsangeboten gelingt, nicht nur diejenigen Lehrkräfte zur Teilnahme zu gewinnen, die sich bereits für einen digital gestützten Unterricht begeistern, sondern auch solche, die dem Einsatz von digitalen Medien bisher eher skeptisch gegenüberstehen oder wenig Vorwissen mitbringen. Eine letzte Herausforderung sehen wir darin, dass Fortbildungen sowohl fachübergreifende Aspekte (zum Beispiel Tiefenstrukturen von Unterricht) als auch fachspezifische thematisieren sollten. Derzeit entstehen übrigens in Deutschland im Rahmen der vom Bund geförderten „Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung“ eine Vielzahl von forschungsbasiert entwickelten Fort- und Weiterbildungsangeboten für Lehrkräfte unterschiedlicher Fächer, die diese Herausforderungen mit adressieren werden. Mehr dazu finden Sie auf der Seite des Kompetenzverbundes lernen:digital.

In unseren eigenen Fortbildungsprojekten versuchen wir aktuell, systematisch die oben genannten Herausforderungen anzugehen. Unser grundlegender Ansatz ist zum einen, die oben genannten Aspekte zu beachten und zum anderen Lehrkräften zu verdeutlichen, dass sie in vielen Aspekten bereits Expertinnen und Experten sind, da Qualitätskriterien für einen analogen Unterricht bereits bekannt sind und nur auf den Einsatz von digitalen Medien übertragen werden müssen. 

Letztlich sind digitale Medien wie alle Medien ein Mittel zum Zweck, sollten aber kein Selbstzweck sein. Diese Erkenntnis und die Schlussfolgerung, dass nicht jeder Unterricht digital sein muss, kann bereits Hemmschwellen abbauen und auch bei bisher skeptischen Lehrkräften eine potenzielle Offenheit erzeugen, sich dem Themenfeld eines digital gestützten Unterrichts anzunähern.