Warum selbstwirksame Lehrkräfte zufriedener sind

Prof. Dr. Doris Holzberger und Janina Täschner von der Technischen Universität München erklären, wie Lehrkräfte Selbstwirksamkeit erlangen und Schulleitungen diese fördern können.

Der Lehrberuf bringt viele Stressfaktoren mit sich. Lehrkräfte sind daher besonders anfällig für Erschöpfung bis hin zum Burnout. Eine neue Forschungssynthese des Zentrums für internationale Bildungsvergleichsstudien zeigt jetzt, wie sich die Selbstwirksamkeit von Lehrkräften in der Aus- und Weiterbildung sowie im Schulalltag fördern lässt.

Redaktion: Frau Professorin Holzberger, Frau Täschner, in Ihrer Forschungssynthese widmen Sie sich der Selbstwirksamkeit von Lehrkräften. Was genau versteht man in der Forschung unter dem Begriff Selbstwirksamkeit?

Prof. Dr. Doris Holzberger: Mit Selbstwirksamkeit ist das Vertrauen einer Person in ihre eigenen Fähigkeiten gemeint. Eine selbstwirksame Person ist davon überzeugt, herausfordernde Situationen mithilfe der eigenen Fähigkeiten und Ressourcen erfolgreich meistern zu können. Umgangssprachlich verwenden wir den Begriff Selbstvertrauen häufig synonym, aber im Gegensatz zu Selbstvertrauen bezieht sich die Selbstwirksamkeit einer Person immer auf bestimmte Aufgaben, Themen oder Berufsfelder. Eine Lehrkraft etwa hat eine hohe Selbstwirksamkeit, wenn sie überzeugt davon ist, dass sie ihre vielfältigen berufsspezifischen Anforderungen auch in herausfordernden Situationen eigenständig bewältigen kann.

Redaktion: Worin zeigt sich eine hohe Selbstwirksamkeit im Unterricht?

Janina Täschner: Die Selbstwirksamkeit einer Lehrkraft beeinflusst, wie sie ihren Unterricht gestaltet. Aus bisherigen Studien wissen wir beispielsweise, dass im Unterricht von Lehrkräften mit einer höheren Selbstwirksamkeit ein besseres Klassenklima herrscht. Außerdem setzen sie häufiger Differenzierungsmaßnahmen ein, um alle Lernenden individuell zu fördern, sind offener für Innovationen und engagierter im Unterricht. Besonders beeindruckend ist die Langzeitwirkung von Selbstwirksamkeit. In einer Studie, die über zehn Jahre lief, konnten die Forschenden anhand der im ersten Jahr gemessenen Selbstwirksamkeit zuverlässig vorhersagen, wie die Unterrichtsqualität in den Bereichen Klassenklima, Klassenführung und kognitive Aktivierung zehn Jahre später sein würde.

„Studien zeigen, dass die Selbstwirksamkeit von Lehrkräften positiv mit den Leistungen der Schülerinnen und Schüler zusammenhängt.“

Prof. Dr. Doris Holzberger

Redaktion: Inwieweit hat eine höhere Selbstwirksamkeit von Lehrkräften auch Vorteile für das Lernen und die Leistung der Schülerinnen und Schüler?

Holzberger: Schülerinnen und Schüler berichten von besseren Beziehungen zu Lehrkräften mit höherer Selbstwirksamkeit und mehr Interesse am jeweiligen Fach. Dementsprechend beteiligen und engagieren sie sich auch im Unterricht mehr. Und schließlich zeigen sogar mehrere Studien, dass die Selbstwirksamkeit von Lehrkräften – wenn auch nur in geringerem Maße – positiv mit den Leistungen der Schülerinnen und Schüler zusammenhängt.

Redaktion: Wie entsteht Selbstwirksamkeit bei Lehrkräften?

Holzberger: Selbstwirksamkeit entsteht grundsätzlich aus der Verarbeitung verschiedener Erfahrungen. Der kanadische Psychologe Albert Bandura kategorisiert diese Erfahrungen als vier sogenannte Quellen der Selbstwirksamkeit: Die erste und nach Bandura stärkste Quelle stellen eigene Erfolgserfahrungen dar, wie etwa eine gelungene Unterrichtsstunde. Aber auch stellvertretende Erfahrungen können die Selbstwirksamkeit stärken, wenn man zum Beispiel eine andere Person beim Meistern einer Situation beobachtet. Solche Erfahrungen machen Lehrkräfte zum Beispiel im Praktikum, bei Hospitationen oder auch bei der Analyse von Unterrichtsvideos. Daneben können auch verbale Rückmeldungen zur Entwicklung der Selbstwirksamkeit beitragen. Beispiele dafür sind Gelegenheiten, in denen Lehramtsstudierende Feedback zu Unterrichtsstunden erhalten oder Lehrkräfte gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen Lösungen für herausfordernde Situationen suchen. Die Interpretation von körperlichen und emotionalen Reaktionen gilt als vierte Quelle der Selbstwirksamkeit. Wenn eine Lehrkraft beispielsweise das Herzklopfen vor dem Kennenlernen einer neuen Klasse als positive Aufregung oder als Vorfreude bewertet, fördert auch das ihre Selbstwirksamkeit.

„Es kann selbstwirksamkeitsförderlich sein, Misserfolge zu beobachten, wenn diese anschließend reflektiert werden.“

Janina Täschner

Redaktion: Wie beeinflusst die Selbstwirksamkeit das psychische Wohlbefinden von Lehrkräften?

Täschner: Hierzu gibt es bereits viele Forschungsergebnisse, die allesamt in eine Richtung deuten: Eine hohe Selbstwirksamkeit hängt eng mit einem hohen Wohlbefinden zusammen. Gut untersucht ist, dass Lehrkräfte mit hoher Selbstwirksamkeit zufriedener im Beruf sind. Sie berichten auch seltener von emotionaler Erschöpfung, einem Burnout-Symptom.

Weiterlesen: Wie Lehrkräfte im Berufsalltag gesund bleiben können
Schulstress kann viele Ursachen haben. Martina Schmidt erklärt unterschiedliche Strategien, diese zu bekämpfen.

Redaktion: Wie wirkt sich Misserfolg auf die Selbstwirksamkeit aus?

Täschner: Zu diesem Punkt gibt es im Bereich der Lehrkräfteselbstwirksamkeit bislang nur wenig Forschung. Studien aus anderen Bereichen zeigen aber, dass selbst erlebte Misserfolge die eigene Selbstwirksamkeitserwartung verringern. Anders sieht es aus, wenn Misserfolge von anderen beobachtet werden. In einer Studie führten Forschende Lehramtsstudierenden Videos vor, in denen Lehrkräfte Unterrichtsstörungen entweder erfolgreich oder erfolglos begegneten. Anschließend diskutierten die Studierenden über ihre Eindrücke – auch mit Blick auf ihr theoretisches Wissen zu erfolgreicher Klassenführung. Am Ende des Semesters war die Selbstwirksamkeit aller Studierenden im Schnitt gestiegen – und zwar unabhängig davon, ob sie im Video eine erfolglose oder eine erfolgreiche Lösung der Unterrichtsstörung gesehen hatten. Es kann also sogar selbstwirksamkeitsförderlich sein, Misserfolge zu beobachten, wenn die Beobachtenden diese danach aktiv reflektieren und über alternative Lösungsansätze nachdenken.

Redaktion: Wie können sich Kolleg:innen gegenseitig unterstützen, um ihre Selbstwirksamkeit zu fördern?

Holzberger: Zunächst können Lehrkräfte auf die Suche nach Vorbildern gehen, von denen sie gerne lernen möchten: Wen aus dem Kollegium bewundere ich für die Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern? Wessen Unterrichtsmaterialien sind faszinierend gestaltet? Bei wem würde ich gern einmal den Einsatz der iPads im Unterricht beobachten? Und so weiter. Bei diesen Kolleginnen und Kollegen könnte man dann anfragen und – wenn sie einverstanden sind – im Unterricht hospitieren. Im Idealfall sollten die Lehrkräfte gleich bei mehreren Gelegenheiten „Gast“ sein und beobachten.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass Lehrkräfte sich überlegen, zu welchem Bereich der eigenen Arbeit sie gerne eine Rückmeldung hätten. Gibt es beispielsweise eine Klasse, in der das Classroom Management immer wieder eine Herausforderung darstellt? Gibt es ein Thema im Lehrplan, bei dem Ideen zum Einstieg fehlen? Im nächsten Schritt sollten sich Lehrkräfte überlegen, wen aus dem Kollegium sie um Feedback bitten können und möchten. Denn Feedback wird dann besonders gut aufgenommen, wenn man der Feedback gebenden Person auch die nötige Expertise zuschreibt. Die entsprechende Person sollte dann möglichst verschiedene Situationen beobachten und konstruktive Rückmeldung geben.

„Wir wissen, dass sich Lehrkräfte selbstwirksamer fühlen, wenn sie häufiger mit Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten können.“

Prof. Dr. Doris Holzberger

Redaktion: Inwieweit können Schulleitungen die Selbstwirksamkeit von Lehrkräften unterstützen?

Holzberger: Internationale Forschungsergebnisse zeigen, dass ein Führungsstil, bei dem das Unterrichten und Lernen im Fokus stehen, wichtig ist. So kann auch die Schulleitung die Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte an ihrer Schule unterstützen. Wir wissen auch, dass sich Lehrkräfte selbstwirksamer fühlen, wenn sie häufiger mit Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten können. Das bestätigt auch die große OECD-Studie, die Lehrkräfte aus über 40 Ländern alle fünf Jahre zu ihren Arbeitsbedingungen befragt:  Lehrkräfte zeigten in dieser Studie eine höhere Selbstwirksamkeit, wenn sie mindestens fünfmal im Schuljahr mit ihren Kolleginnen und Kollegen zusammengearbeitet hatten. Auch hier sind Schulleitungen natürlich entscheidend, um die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit der Lehrkräfte zu schaffen. Schulleitungen können die nötigen Strukturen für eine selbstwirksamkeitsförderliche Umgebung formen, um etwa Hospitationen zu ermöglichen, externe Coaches einzubeziehen oder Gelegenheiten zur Reflexion von Erfolgen zu bieten.

Redaktion: Auch Ihre Forschungssynthese schließt mit Reflexionsfragen: Warum ist Reflexion für die Selbstwirksamkeit so wichtig?

Täschner: In unserer Metaanalyse haben wir untersucht, welche Strategien bei der Förderung der Selbstwirksamkeit von Lehrkräften besonders wichtig sind. Dabei hat sich gezeigt, dass Trainings, Seminare und Programme, die Momente der Reflexion beinhalteten, deutlich größere Effekte erzielten. Ein Moment der Reflexion meint hier ein bewusstes Innehalten und Nachdenken über vergangene Situationen. Dabei können Hilfsmittel wie ein Tagebuch oder feste Gesprächstermine helfen. Sich die Zeit zu nehmen, um über eigenes Handeln und eigene Erfahrungen nachzudenken, hilft beim Verarbeiten dieser Erfahrungen – und damit später vermutlich auch beim Erinnern. Da Reflexion so wichtig für Veränderungen ist, bieten wir in unserem Themenheft Reflexionsfragen an, die auf die verschiedenen Rollen von Lehrkräften, Schulleitungen und weiteren Personen in der Lehrkräftebildung zugeschnitten sind.

Beispielhafte Reflexionsfragen für Lehrkräfte

  • In welchen Bereichen Ihres beruflichen Lebens fühlen Sie sich selbstwirksam? In welchen weniger?
  • Was war heute/diese Woche/in diesem Schuljahr ein echtes Erfolgserlebnis für Sie in Bezug auf Ihre Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern ?
  • Wann haben Sie das letzte Mal eine andere erfahrene Lehrkraft beobachtet? Was haben Sie dabei mitgenommen?
  • Wann hätten Sie in Ihrem Stundenplan Zeit, einmal jemanden aus dem Kollegium im Unterricht zu besuchen?

Redaktion: Frau Professorin Holzberger, Frau Täschner, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Doris Holzberger ist Professorin für Schul- und Unterrichtsforschung an der Technischen Universität München sowie Leiterin der Arbeitsgruppe Forschungssynthesen am ZIB, dem Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien. Gemeinsam mit ihrem Team veröffentlicht sie regelmäßig praxisorientierte Themenhefte zu relevanten Themen aus dem Bildungsbereich.

Zur Person

Janina Täschner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität München und der Arbeitsgruppe Forschungssynthesen am ZIB, dem Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB). Ihr Forschungsschwerpunkt sind die Selbstwirksamkeit von Lehrkräften sowie Interventionen in deren Aus- und Weiterbildung.