Förderansätze für selbstreguliertes Lernen in der Grundschule

Kooperationsschulen für neue DIPF-Studie gesucht

Von guten Lernstrategien profitiert man ein Leben lang. Mit der Corona-Pandemie hat selbstreguliertes Lernen auch in der Grundschule an Bedeutung gewonnen. Forschende des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) untersuchen, wie sich Selbstregulation schon früh fördern lässt. 

Wer selbstreguliert lernen kann, ist erfolgreicher in Schule und Studium und kann sich auch im weiteren Leben Wissen gut aneignen. Darin ist sich die Bildungsforschung einig. „Die positiven Effekte von Selbstregulation sind in vielen Studien belegt“, betont Bernadette van Berk, Doktorandin am Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) in Frankfurt am Main. Bekannt sei auch, dass sich Lernstrategien schon früh verfestigten. „Viele Kinder oder auch Erwachsene haben ein ganz klares Bild davon, wie Lernen funktioniert, und denken zum Beispiel, dass es sie zu viel Zeit kostet, sich vorher einen Plan zu machen. Sie starten lieber direkt mit den Aufgaben“, sagt die Forscherin. Das sind Fehlannahmen, die man durchbrechen muss, um bessere Leistungen und mehr Lernmotivation zu erzielen – fürs ganze Leben.“ Weniger gut erforscht sei bislang aber noch, wie selbstreguliertes Lernen und die richtigen Lernstrategien gezielt und effektiv gefördert werden können.

Was bedeutet selbstreguliertes Lernen?

Selbstregulation beschreibt die Fähigkeit, sich selbstständig Ziele zu setzen, sich zu motivieren, um an diesen zu arbeiten, geeignete Lernstrategien auszuwählen und zu nutzen und abschließend den Lernprozess zu reflektieren. Die Forschung zu Selbstregulation beim Lernen unterscheidet zwischen drei Strategiearten: metakognitiven, kognitiven und motivationalen. Ein bekanntes Modell von Zimmerman (2000) beschreibt Selbstregulation beim Lernen als einen zyklischen Prozess bestehend aus drei Phasen, in denen metakognitive (übergeordnete) Strategien angewandt werden: die präaktionale Phase (vor dem Lernen), die aktionale Phase (während des Lernens) und die postaktionale Phase (nach dem Lernen). Für Kinder, die Hausaufgaben zu erledigen haben oder für eine Prüfung lernen, bedeutet das zum Beispiel, dass sie sich zunächst einen Überblick über die Aufgaben oder den Lernstoff verschaffen und entscheiden, in welcher Reihenfolge und Zeit sie alles machen möchten. Beim Erledigen der Aufgaben selbst geht es um adäquate Lernstrategien und die eigene Überwachung, ob man vorankommt oder sich vielleicht zu leicht ablenken lässt, ob man Fehler gemacht hat etc. Im Anschluss sollte man sich noch überlegen, was gut oder weniger gut gelaufen ist und was man beim nächsten Mal beibehalten oder anders machen könnte.

Mit der Corona-Pandemie ist hier die Grundschule in den Fokus gerückt. Selbstregulation hatte dort lange wenig Relevanz, war eher ein Thema für weiterführende Schulen und Universitäten. Doch in Zeiten von Schulschließungen und Distanzunterricht mussten auch Grundschulkinder plötzlich ihr Lernen zu Hause eigenständig organisieren und sich dafür selbst motivieren. „Die Coronazeit hat viel verändert, weil wir gemerkt haben, dass selbstreguliertes Lernen schon viel früher startet“, berichtet Bernadette van Berk. 

Worum geht es in der PUS-Sel-Studie?

Hier setzt das Forschungsprojekt PuS-Sel am DIPF an, in dem die Wissenschaftlerin mitarbeitet. In mehreren Teilstudien beschäftigen sich die Forschenden damit, wie Grundschulkinder selbstreguliert lernen und wie eine Förderung durch Eltern und Lehrkräfte aussehen kann. Der Schwerpunkt liegt auf den sogenannten metakognitiven Lernstrategien. „In Schulen gibt es ja manchmal schon Konzepte wie ‚Lernen lernen‘, das sind eher kognitive Lernstrategien“, erklärt van Berk, „also Techniken der Wissensverarbeitung wie sich einen Text nochmal durchzulesen, Vokabeln auswendig zu lernen oder eine Mind Map anzulegen. Die metakognitiven Strategien gehen noch weiter und richten den Blick darauf, wie ich mein eigenes Lernen plane und strukturiere.“ Ebenfalls eine Rolle spielen Strategien zur Motivation.

Ausgehend von der Feststellung, dass Selbstregulation prinzipiell erlernbar ist, startet im Mai 2022 eine neue Online-Studie innerhalb des PuS-Sel-Projekts, mit der unter anderem die Wirksamkeit von kurzen, kindgerechten Erklärvideos zum Thema Selbstregulation beim Lernen getestet werden soll. Hierfür sucht das DIPF noch Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Für Videos hat sich das DIPF-Team entschieden, weil sie für Kinder attraktiv sind und perspektivisch gut in den Unterricht integriert werden können. „Wir sind uns bewusst, dass Lehrkräfte am Limit sind und das Thema Selbstregulation mitlaufen muss im normalen Alltag“, sagt Bernadette van Berk. „Es darf keinen großen Mehraufwand bedeuten für Lehrerinnen und Lehrer.“ Darüber hinaus sollen Lerntagebücher beim Strukturieren des täglichen Lernens helfen.

Kooperationsschulen gesucht

Für die Online-Studie zur Selbstregulation in der Grundschule sucht das DIPF noch bis zum 22.04.2022 interessierte Kooperationsschulen deutschlandweit. Teilnehmen können Lehrkräfte mit ihren Schülern und Schülerinnen von der zweiten bis zur fünften Klasse. Es muss nicht die ganze Klasse teilnehmen. Die Studie findet online außerhalb der Schulzeit statt und wird mit Hilfe der Lernplattform Moodle organisiert. Für die Kinder gibt es Bilderrätsel und spielerische Problemlöseaufgaben, beim Ausfüllen eines Lerntagebuchs erhalten sie Tipps für das schulische Lernen. Die Eltern und Lehrkräfte der Kinder nehmen zudem an einer kurzen Online-Befragung teil, um das Lernverhalten der Kinder einzuschätzen. 
Weitere Infos gibt’s hier: SeLFI-Lab

Welche Erkenntnisse zu Selbstregulation in der Grundschule gibt es bereits?

Für die Studie greifen die Forschenden auch auf die Ergebnisse anderer Teilstudien zum selbstregulierten Lernen am DIPF zurück. Bernadette van Berk hat in ihrem Projekt bereits Interviews mit Kindern und Eltern geführt um herauszufinden, welche Lernstrategien Kinder bereits nutzen. Mädchen wissen demnach mehr über selbstreguliertes Lernen als Jungen. Ältere Kinder können Lernstrategien zudem besser einsetzen als jüngere. Die qualitative Interviewauswertung läuft derzeit noch. „Wir sehen, dass Kinder unterschiedliche Strategien anwenden und tolle Ideen haben, wie beispielsweise aktive Pausen oder kleine Belohnungen, um sich zu motivieren und Konzentrationsschwierigkeiten entgegenzuwirken“, sagt van Berk. „Aber bei vielen ist der Lernprozess zu Ende, wenn sie die Aufgaben erledigt haben. Sie geben sie dann jemandem zum Korrigieren oder korrigieren sie im besten Fall noch selbst. Aber die sogenannte postaktionale Phase ist nicht stark vertreten. Vielleicht ist das ein Punkt, wo wir ansetzen können.“

„Lernstrategien sind sehr hilfreich, um zu lernen, deshalb wäre es eine sehr positive Weichenstellung, sie zu nutzen.“

Antonia Fischer

Weitere Erkenntnisse und Ansätze kommen aus einem anderen DIPF-Projekt (WieSeL) zur Selbstregulation aus Lehrersicht. Lehrkräfte können Selbstregulation in ihrer Klasse auf zwei Arten fördern: direkt durch das Vermitteln konkreter Strategien und indirekt, indem sie die Lernumgebung so gestalten, dass die Schülerinnen und Schüler beispielsweise selbst bestimmen können, mit wem sie wo und wann eine Aufgabe erledigen. Ob die Lehrkräfte das auch tun, hängt insbesondere von ihrer Haltung zum Thema Selbstregulation ab. „Lernstrategien sind sehr hilfreich, um zu lernen, deshalb wäre es eine sehr positive Weichenstellung, sie zu nutzen“, betont Doktorandin Antonia Fischer. Wer davon nicht überzeugt und der Meinung ist, Aufgabe der Lehrkräfte sei vor allem Wissensvermittlung, fördert auch kein selbstreguliertes Lernen in seinem Unterricht. „Solche Überzeugungen sind durchaus noch vorhanden“, so die Bildungsforscherin. Einfluss hat zudem, ob Lehrerinnen und Lehrer sich zutrauen, selbstreguliertes Lernen überhaupt fördern zu können. Auch hier sollen nun Videos entworfen werden, die Lehrkräften Wissen über selbstreguliertes Lernen vermitteln und Überzeugungen stärken sollen. 

„Wir haben die Hoffnung, dass Schülerinnen und Schüler davon profitieren, wenn wir an diesen Aspekten der professionellen Kompetenz der Lehrkräfte schrauben“, sagt Antonia Fischer. Denn langfristig ist beabsichtigt, Schüler- und Lehrerperspektive zusammenzuführen, Trainings für die Praxis zu entwickeln und an Schulen auszuprobieren und weiter zu erforschen. 

Zur Person

Antonia Fischer hat Psychologie an der Universität Freiburg studiert und bereits in ihrer Masterarbeit zum Thema arbeitsbezogene erweiterte Erreichbarkeit von Lehrkräften ihren Arbeitsschwerpunkt  auf die Forschung mit Lehrkräften gelegt. Seit April 2020 ist sie Doktorandin am DIPF und Promotionsstudentin an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. 

Zur Person

Bernadette van Berk hat ein Studium der Allgemeinen und Berufspädagogik an der TU Darmstadt und der Erziehungswissenschaft in Frankfurt absolviert und ist seit April 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am DIPF tätig. Seit Februar 2021 macht sie zusätzlich eine Ausbildung zur Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin am Alfred-Adler-Institut Mainz.