Pisa und die Konsequenzen: „20 Jahre später – kein bisschen weiser?“

Dr. Nikolai Häußermann, Teilnehmer des Studiengangs Schulmanagement & Leadership, fasst rückblickend die jüngste Pisa-Fachtagung in Berlin zusammen

Zwei Tage nach der Veröffentlichung der internationalen Pisa-Ergebnisse präsentierte das Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB), das im Auftrag der OECD die Pisa-Studie in Deutschland durchführt, in Berlin ihre Analysen der Pisa-Daten. Dr. Nikolai Häußermann war dabei und liefert eine Zusammenfassung.

Die Konferenz, zu der auch die Kultusministerinnen und -minister sowie Beauftragte der zentralen Bildungsinstitutionen der deutschen Bundesländer eingeladen waren, stand deutlich unter dem Eindruck einer intensiven und negativ geprägten medialen Berichterstattung über die deutschen Pisa-Ergebnisse. Zunächst präsentierte das ZIB die zentralen Befunde aus den Pisa-Daten: Deutschland habe in den Fächern Mathematik und Lesen nur noch eine durchschnittliche und keine überdurchschnittliche Leistung mehr erreicht. Eine große Anzahl von Lernenden (25 bis 30 Prozent) unterschreite mittlerweile eine kritische Schwelle der Kompetenz. Diese Befunde setzen einen negativen Trend seit 2015 fort: Die Anzahl der leistungsstarken Schülerinnen und Schüler nimmt ab und die der leistungsschwachen zu. Betroffen seien alle Schularten in Deutschland.

Besonderes Interesse galt dem mit steigenden Zuwanderungszahlen nach Deutschland verknüpften Migrationshintergrund und der immer wieder für das deutsche Bildungssystem festgestellten Abhängigkeit der Schulleistungen vom sozialen Status des Elternhauses. Hierzu berichtete das ZIB, dass die Beherrschung der deutschen Sprache und der sozio-ökonomische Hintergrund das schulische Abschneiden von Zugewanderten beeinflussen. Zudem sei der soziale Gradient, also der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Leistungsergebnissen, in Deutschland immer noch höher als im OECD-Durchschnitt.

Pandemie nur Katalysator

Bei der Diskussion der vorgestellten Ergebnisse wurden fünf Hauptursachen für die Kompetenzrückgänge identifiziert: die Pandemie, bildungspolitische Entscheidungen, Zuwanderung und soziale Ungleichheit, die Unterrichtsqualität (besonders in Mathematik) und das Schulsystem in Deutschland. Die Pandemie wurde nicht als Ursache, sondern vielmehr als Katalysator für bereits bestehende strukturelle Probleme in Bildungssystemen weltweit beschrieben. Die Kompetenzrückgänge hingen nicht direkt mit der Dauer der Schulschließungen zusammen, vielmehr sei der Umgang mit diesen entscheidend gewesen. Zu den bildungspolitischen Entscheidungen der letzten Jahre, wie die Rücknahme des Bildungsmonitorings in den 2010er-Jahren oder die Rückkehr zu G9, wurde aus wissenschaftlicher Perspektive von Prof. Manfred Prenzl Kritik geübt: Es fehle an einem politischen Willen, wissenschaftliche Vorschläge auch umzusetzen: „Die Politik braucht nicht mehr wissenschaftliche Beratung, sie muss sich dieser stellen“.

Die Unterrichtsqualität, insbesondere im Mathematikunterricht, identifizierte man als weiteres Problem: „Die Klassenarbeiten spiegeln einen Unterricht, wie es ihn bereits vor 30 Jahren gab“, so Prof. Olaf Köller. Es fehle an einem praxisrelevanten und motivierenden Unterricht, der sich an die spezifischen Interessen der Generation Z richte. Das zeige nicht zuletzt auch die Zunahme der Mathematik-Angst seit 2012. Bei der Diskussion des Migrationshintergrundes kristallisierte sich heraus, dass nicht dieser Hintergrund selbst, sondern der sozio-ökonomische Faktor und die Sprachkenntnisse entscheidend für den Bildungserfolg seien. Die Abhängigkeit des Bildungserfolges vom sozio-ökonomischen Faktor könne man nicht durch die Schaffung eines neuen Systems lockern, sondern durch konsequente Verbesserungen im bestehenden System – als Beispiel wurde das „Startchancen-Programm“ genannt.

Früher und besser fördern

Als Konsequenzen aus den Pisa-Ergebnissen wurden die Stärkung der Sprachförderung in den Kitas, die Ausweitung datenbasierter Schulentwicklung und Verbesserungen in der Unterrichtsqualität sowie der Lehrkräfteausbildung diskutiert. Die jüngste IQB-Studie zeige erste Erfolge in Baden-Württemberg, das Vorreiter in Sachen datenbasierter Schulqualitätsentwicklung sei.

Prinzipiell sind die diskutierten Konsequenzen nichts Neues, denn schließlich hat man diese in der deutschen Bildungsadministration bereits nach dem ersten „Pisa-Schock“ vor 20 Jahren angeführt und auch teilweise umgesetzt. Insofern stellte sich am Ende der Konferenz die Frage, ob Deutschland „(k)ein bisschen weiser“ geworden sei. Eine mögliche Antwort lieferte Prof. Olaf Köller: „Doch, wir sind weiser geworden. Aber wir haben alles wieder vergessen.“